Es sind so viele wie nie zuvor — jeder vierte Abgeordnete im EU-Parlament gehört heute einer rechtsextremen Fraktion an. Statt den Klimawandel zu leugnen, setzen sie auf eine neue Strategie: Verzögerungsargumente, die auch bei konservativen Parteien verfangen und den Green Deal schwächen.
Die Zeiten, in denen rechte Parteien den Klimawandel schlicht leugneten, sind vorbei. „Die Beweise für den Klimawandel sind mittlerweile einfach überwältigend“, erklärt Klimaforscher William Lamb vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Stattdessen nutzen rechtsextreme Fraktionen im EU-Parlament heute sogenannte Verzögerungsargumente: Sie geben die Verantwortung an andere weiter, propagieren schwache Maßnahmen oder betonen ausschließlich die Nachteile von Klimaschutz. Diese Strategien sind effektiver als die alte Leugnung, weil sie ein Körnchen Wahrheit enthalten. Dazu kommt: Sie verfangen auch jenseits des rechten Randes.
Climate delay is also more of an open space. So how do you solve climate change? How do you do good climate policy? There’s no one single answer to that. So there’s a lot of room for discussion, and you can exploit that room for discussion.
William Lamb, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
Ursula von der Leyens konservative Europäische Volkspartei (EVP) arbeitet zunehmend mit rechtsextremen Fraktionen zusammen. Gemeinsam haben sie bereits mehrere Umweltgesetze verschoben und verwässert. Mit der Verschiebung der Entwaldungsverordnung etwa, wurde zum ersten mal in der Geschichte der EU eine wichtige Umweltentscheidung mit der Unterstützung rechter Gruppen verabschiedet. Wie das möglich ist? Politikwissenschaftlerin Catherine Fieschi vom Europäischen Hochschulinstitut spricht von einem „perfekten Sturm“: eine Mischung aus Krisen, Machtverlagerungen und politischem Opportunismus, die den Green Deal schwächt.
We can see that there are some serious arguments for delay being made. And this is where it’s a game of words, because in the context of climate delay (…) it means you miss a window of opportunity.
Catherine Fieschi, Politikwissenschaftlerin und Expertin für Rechtsextremismus
Klimaschutz-Ausreden lassen sich in vier Kategorien einteilen: Verantwortung weitergeben, schwache Maßnahmen propagieren, Nachteile betonen und vorschnell kapitulieren. Wie eine internationale Recherche von DeSmog zeigt, nutzen rechte Parteien diese Argumente systematisch, um Klimapolitik zu untergraben. Gleichzeitig greifen sie Forschende und NGOs persönlich an, um deren Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfehlen eine „Impfung“ gegen solche Desinformation: Wer die Argumentationsmuster einmal durchschaut hat, lässt sich weniger leicht manipulieren. Die Seite Klimafakten.de bietet dazu ein interaktives Quiz an.
I don’t think it is the end of the Green Deal. But I think that we are in a moment of real delay and dilution.
Catherine Fieschi, Politikwissenschaftlerin und Expertin für Rechtsextremismus am Robert-Schuman-Zentrum des Europäischen Hochschulinstituts
Wie rechtsextreme Parteien konkret den Green Deal schwächen und welche Strategien gegen Klimaschutz-Ausreden helfen, darüber spricht detektor.fm-Moderatorin Ina Lebedjew in dieser Folge von „Mission Energiewende“ mit Reporterin Julia Seegers, die im Rahmen einer internationalen Recherche zu diesem Thema gearbeitet hat. In dem Zuge hat sie mit Klimaforscher William Lamb vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und der Politikwissenschaftlerin und Rechtsextremismus-Expertin Catherine Fieschi vom Europäischen Hochschulinstitut gesprochen.
Diese Veröffentlichung ist Teil der grenzüberschreitenden Recherche „Von Leugnung zu Verzögerung: Wie sich die europäische extreme Rechte an die Klimakrise anpasst“ und wurde mit Unterstützung von Journalismfund Europe entwickelt.