Ein neuer Kalter Krieg?
Der Blick an die Grenze zwischen Europa und Russland ist beängstigend. Das Verhältnis von NATO und EU auf der einen und Russland auf der anderen Seite verschlechtert sich zusehends – nicht erst seit der Annexion der Krim. Die diplomatischen Beziehungen im NATO-Russland-Rat laufen auf Sparflamme und die NATO rüstet auch militärisch auf.
Dabei zieht sie alle Register. Militärübungen, Truppenstationierungen oder die Einrichtung einer neuen Raketenabwehr sollen Russland seine Grenzen aufzeigen. Die Rhetorik zwischen den Blöcken wird härter – dabei müsste man eigentlich gerade aktuell bei der Lösung des Konflikts in Syrien oder der Bekämpfung des IS zusammenarbeiten.
Polens Sicherheitsbedürfnis
Damit aber nicht genug, denn Polen reicht die Aufrüstung der NATO nicht aus. Es fühlt sich durch seine geographische Nähe zu Russland besonders gefährdet und fordert bei jeder Gelegenheit mehr Präsenz des Militärbündnisses im eigenen Land.
Damit ist Polen nicht allein. Auch die baltischen Staaten haben Angst vor russischen Angriffen. Der estnische Premierminister forderte kürzlich in einem Interview „Abschreckung müsse die neue Normalität sein.“ Nach der Annexion der Krim befürchten die ehemaligen Sowjetstaaten, dass Russland alte Großmachtbestrebungen wiederbelebt.
Immer mehr Milizen
Die Angst vor Russland ist auch in den osteuropäischen Gesellschaften verbreitet. Viele organisieren sich deshalb in Bürgerwehren. Statt harmlosem Neighbourhood Watch betreiben die Milizen in Polen, Estland oder Schweden aber regelrechte Militarisierung. Mit militärischer Kleidung, eigenen Abzeichen und schweren Waffen wollen Studenten, Anwälte oder Metzger sich selbst gegen einen Angriff von russischer Seite wappnen.
Diese Entwicklung kommt der nationalkonservativen Regierung in Polen gelegen. Sie ermutigt nicht nur die militärischen Bürgerorganisationen, sondern will sie ganz offiziell für die Landesverteidigung einsetzen. Der polnische Verteidigungsminister kündigte an, die bis jetzt etwa 120 bestehenden Verbände in die militärischen Strukturen des Landes zu integrieren. Am Ende des Prozesses soll eine 35.000 Mann starke Truppe stehen, die nur aus freiwilligen paramilitärischen Gruppierungen besteht und im Notfall Aufgaben der Landesverteidigung übernehmen soll.
Mir macht es den Eindruck, dass Polen, das ja seine Armee auch professionalisiert hat in den letzten Jahren, jetzt einen Schritt zurück macht, um – vielleicht auch aus innenpolitischen Gründen – eine bessere Wehrfähigkeit zu erreichen. – Hans-Georg Ehrhart, Politikwissenschaftler
In Polen sollen paramilitärische Bürgerwehren bei der Verteidigung gegen Russland helfen. Ist es sinnvoll oder gefährlich, solche Milizen unter die Kontrolle des Staates zu stellen? detektor.fm-Moderatorin Anna Corves hat mit dem Friedensforscher Hans-Georg Ehrhart von der Universität Hamburg darüber gesprochen.