Nicht immer ist der Weg in die Spitzenforschung geradlinig. Wie ungewöhnlich dieser Weg aussehen kann, zeigt der Fall der Mathematikerin Mura Yakerson.
Im 5. Jahrhundert vor Christus musste Anaxagoras von Clazomanae ins Gefängnis, weil er sich weigerte, die Sonne als Gottheit anzuerkennen. In der Haft beschäftigte er sich mit der Quadratur des Kreises — nur mit einer Schnur, einem umarkierten Lineal und einem Stift wollte er aus einem Kreis ein Quadrat mit gleichem Flächeninhalt konstruieren. Dass dieser Versuch zum Scheitern verurteilt war, konnte erst mehr als 2000 Jahre später bewiesen werden, und zwar von einem Mathematiker, der ebenfalls im Gefängnis forschte: Évariste Galois, verhaftet für einen königskritischen Trinkspruch. Tibor Radó, André Weil, Curt Herzstark — die Liste der Forscherinnen und Forscher, die im Gefängnis auf gute Ideen gekommen sind, lässt sich fortführen. Bis heute.
Die Mathematikstudentin Mura Yakerson ist 20 Jahre alt und hat gerade ihren Führerschein gemacht, als sie in St. Petersburg ein Auto schrammt. Ein Kratzer mit Folgen: Mura muss sich vor Gericht entscheiden, ob sie lieber ihren Führerschein abgibt oder drei Tage ins Gefängnis geht. In Muras Vorstellung ist das Gefängnis der perfekte Ort, um in aller Ruhe Mathematik zu betreiben — sie entscheidet sich also für die Haft. Die Fantasie wird allerdings schnell von der Realität des russischen Strafvollzugs eingeholt. Am Ende hat Mura Yakerson sich keine Minute inhaltlich mit Mathematik beschäftigt — aber sie hat sich ihre Karriere in der Mathematik genau ausgemalt.
In dieser Folge „Zurück zum Thema“ geht es um die Geschichte von Mura Yakerson, die heute an der Sorbonne Université zu K-Theorie und motivischer Homotopietheorie forscht. Und um die Frage, wie viel Kraft, Fantasie und Resilienz man braucht, um gute Forschung zu machen.