Hey, bevor es gleich losgeht, habe ich noch eine Podcast-Empfehlung für euch. Wir von detektor.fm haben nämlich mit Spektrum der Wissenschaft noch einen neuen Podcast gestartet. „Die großen Fragen der Wissenschaft“ heißt er und genau darum geht es auch. Die beiden Hosts, Katharina Menne und Carsten Könneker von Spektrum, stellen nämlich in jeder Folge eine große Frage der Wissenschaft. Was ist Zeit, zum Beispiel? Oder woher kommt das Leben? Oder auch sehr spannend, gleich in der ersten Folge: Was lauert in der Tiefsee? Und das ist tatsächlich eine sehr große Frage der Wissenschaft, denn wir wissen mehr über die Rückseite des Mondes als über den Grund unserer Ozeane. In jeder Folge sprechen Katharina und Carsten ausführlich mit Forschenden, fragen sie, was sie über die Welt, die Naturgesetze und über das Leben wissen, wie sie arbeiten und was sie antreibt. Das also die Hörempfehlung vorab. Den Link zum Podcast packe ich euch nochmal in die Shownotes oder ihr geht einfach auf spektrum.de oder detektor.fm, da findet ihr auch nochmal alle Infos. So, und jetzt geht’s mit der Folge los. Herbst 2014. Im Gefängnis von Sankt Petersburg stehen vier Polizisten. Sie sehen ein bisschen ratlos aus. Heute ist hier ein Text angekommen, ein Text, den sich eine Gefangene gewünscht hat. Und die Polizisten müssen ihn jetzt prüfen, jede einzelne Seite. Das Problem ist nur, man versteht kein Wort. Wird hier zu einem Aufstand aufgerufen? Gibt es vielleicht einen versteckten Code? Oder wer bitte kommt ins Gefängnis und will nichts haben außer ein Paper über motivische Homotopie-Theorie? Das ist die Geschichte von Maria Jakason. Untertitel im Auftrag des ZDF für funk, 2017. Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Geschichte aus der Mathematik. Ich bin Carolin Breitschädel und ich hoste diesen Podcast. Schön, dass ihr alle zuhört. Alle zwei Wochen erzählen wir euch, wie der Name schon sagt, eine Geschichte aus der Mathematik in diesem Podcast. Und wir, das sind neben mir Manon Bischoff, Mathe-Redakteurin bei Spektrum der Wissenschaft, und Mathematiker Demian Naul Goos. Und ohne unsere vorigen Geschichten abwerten zu wollen, aber die Geschichte heute ist irgendwie eine echt besondere Geschichte. Die Mathematikerin, um die es geht, ist die jüngste noch lebende Mathematikerin, die wir hier im Podcast je vorgestellt haben. Es ist außerdem die erste Mathematikerin, die Demian und Manon beide persönlich kennenlernen durften. Und das ist auch der Grund, weshalb wir sie in dieser Folge bei ihrem Vornamen nennen. Das hat sie sich nämlich selbst so gewünscht. Ab jetzt sagen wir also nicht Maria Jakason, sondern Mura. Das ist so etwas wie ihr Spitzname und so nennt sie sich auch selbst. In Muras Geschichte geht es um einen Gefängnisaufenthalt und darum, wie man es schafft, eine schreckliche und herausfordernde Situation zu überstehen. Aber Manon hat mir versprochen, es geht auch noch um Donuts. Erstmal Hallo, Manon. Hi, Caro. Das ist ja schon fast eine gute alte Tradition hier im Podcast, dass wir Gebäck mit ins Boot holen. Ja, also du hast im Einstieg ja schon gesagt, mathematisch geht es heute um die motivische Homotopie-Theorie. Aber ja, ich verspreche, es geht auch um Donuts. Das finde ich sehr gut, weil motivische Homotopie-Theorie klingt jetzt ehrlich gesagt noch nicht so sexy. Und Donuts machen mich da ehrlicherweise schon ein bisschen mehr an. Ja, das ist so ein bisschen das klassische Beispiel, das man nimmt, wenn es halt um algebraische Geometrie geht. Das ist der Oberbegriff für das mathematische Gebiet, um das es heute geht. Und das versucht man oft anschaulich zu machen über Donuts, weil man sich das halt eben ganz gut vorstellen kann. Aber ich muss euch auch ein bisschen vorwarnen: Das, was Mura da macht, das ist auch schon eher ein bisschen kompliziertere Mathematik und ein bisschen kompliziertere Donuts. Okay, ich ahne schon, dass ich mich vielleicht ein bisschen zu früh gefreut habe. Da kommt dann wahrscheinlich wieder so etwas wie ein 10-dimensionaler Donut direkt auf uns zu. Ja, vielleicht eher sogar ein 10-dimensionaler Donut, wo das Loch auch noch super viele andere Löcher hat, die auch verschiedene Dimensionen haben. Oh Gott. Aber ja, also das wird heute mal wieder ein bisschen herausfordernd, sage ich mal. Aber auch ziemlich cool, ich verspreche es. Okay, na gut. Also wir sind vorgewarnt und ich freue mich trotzdem auf den Donut. Genauso freue ich mich aber, dass natürlich auch Demian wieder mit von der Partie ist. Hallo, Demian. Grüß dich, Caro. Ich habe schon gesagt, das ist eben heute eine besondere Geschichte, weil ihr beide, also du Demian und Manon, Mura persönlich kennengelernt habt. Und ich muss sagen, ich finde sie wirklich einfach super sympathisch. Ganz viel von dem, was sie erzählt, das kenne ich aus der Mathematik selber. Also das sind ganz oft Anekdoten, wo ich gedacht habe, ja genau, das habe ich auch so erlebt, als ich früher studiert habe. Ja, für mich war vor allem beeindruckend, wie offen sie von ihrer persönlichen Geschichte halt auch gesprochen hat und dabei auch ihren Humor die ganze Zeit bewahrt hat. Also ich meine, das, was sie erlebt hat, war sicher keine leichte Erfahrung. Und hier muss ich auch noch sagen, ich bin ihr super dankbar, dass sie sich uns geöffnet hat und dass sie ihre Erzählung mit uns geteilt hat. Und natürlich ihr Weg in die Mathematik, also dass sie im Gefängnis war, das ist auch einfach eine super krasse Geschichte. Oh ja, ja. Also heute forscht Mura ja in Paris an der Universität Sorbonne. Aber diese Geschichte beginnt in Sankt Petersburg im Herbst 2014. Eigentlich beginnt sie sogar ein Stückchen früher, genauer gesagt am 7. Juli 2014. Es war nicht ein glücklicher Tag in meiner Leife. Aber einige Geschichten müssen von einem Drama beginnen. Okay, vielleicht für den Kontext: Fahren im Winter in Russland ist schwer. Also du machst das nicht automatisch in den eisigen, schnellen, hartnäckigen Straßen. Und ich war sehr, sehr Angst, vor allem sogar mehr als für die Mathematik-Homöopathie. Mura sagt selbst, Mathe und Homöopathie, das ist etwas, was ihr damals noch große Angst bereitet hat. Aber Autofahren? Autofahren ist halt noch deutlich schlimmer, erst recht im Winter in Russland. Und trotzdem hat sie irgendwie ihren Führerschein geschafft, aber noch nicht so viel Autofahren geübt, als sie zum Bahnhof fährt, um einen Freund abzuholen. Und die Geschichte fängt dann damit an, dass Mura in Sankt Petersburg ein Auto schrammt. Oh je, ausgerechnet Mura kriegt das erst mal gar nicht richtig mit, was da eigentlich passiert ist. Aber es gibt Überwachungskameras, die alles aufnehmen. Oder wie Mura selbst sagt: Ich habe ja nicht mitten in Moskau einen Oppositionsführer erschossen, ich habe ja nur ein Auto geschrammt. Ist ja klar, dass die Kameras hier super funktionieren. Auf dem Videomaterial ist also zu sehen, wie Mura das andere Auto tuschiert. Die Polizei kann Mura identifizieren auf dem Material und meldet sich dann bei ihr. Ja, blöd gelaufen, aber ein Kratzer im Auto, dafür muss man ja vermutlich auch in Russland normalerweise nicht sofort ins Gefängnis. Das nicht, aber Mura muss eben vor Gericht. Schließlich hat sie ja auch Fahrerflucht begangen. Und der Richter dort, der stellt sie vor die Wahl: Entweder du gibst deinen Führerschein ab für ein halbes Jahr oder du gehst drei Tage ins Gefängnis. Okay, wenn man jetzt nicht unbedingt diesen Führerschein braucht, würde ich sagen, nicht so eine schwere Entscheidung. Genau, also ich bin da total bei dir. Ich würde auch sagen, ich gebe einfach meinen Führerschein ab. Ist ja klar. Und Mura braucht den Führerschein überhaupt nicht dringend, wie sie selbst sagt. Aber sie denkt, dass es ja voll das Versagen wäre, den Führerschein direkt wieder abzugeben, nachdem sie ihn geschafft hat. Ich glaube, Mura weiß heute selbst nicht wirklich so genau, warum. Aber sie steht da vor dem Richter und sagt: Okay, drei Tage Gefängnis. Ihren Optimismus finde ich echt beeindruckend. Drei Tage Gefängnis und Mura denkt sich: Ach na ja, drei Tage ohne Ablenkung, top, da kann ich mich endlich mal richtig auf Mathematik konzentrieren. Aber wirklich, wortwörtlich eine Sekunde nach der Verhandlung wird ihr sofort klar, dass diese Entscheidung wahrscheinlich ein großer Fehler war. Als die Verhandlung vorbei war und vier Polizisten mir die Arme genommen haben und mich involuntär in das Auto genommen haben, obwohl ich gelaufen war. Aber sie haben sich nicht geäußert. Das ist dann, als ich begann zu realisieren, dass das nicht nur eine Verletzung der Verletzungen ist, sondern mehr als das. Wie die Polizisten Mura nach dem Prozess dann sehr unsanft zu ihrem Auto geleiten, das ist wahrscheinlich schon so ein Ausblick darauf, wie es im Gefängnis auch zugeht, kann ich mir vorstellen. Also dass es da gar nicht ruhig und entspannt ist, sondern wahrscheinlich ziemlich furchtbar. Ja, das ist es auch. Mura kriegt erstmal nichts zu essen und nichts zu trinken, mehr als 24 Stunden. Das muss man sich erstmal vorstellen. Sie hat überhaupt keine eigenen Sachen dabei, sie darf nicht raus aus ihrer Zelle, sie kann nicht wirklich mit anderen Menschen sprechen. Also es gibt da eine Frau, mit der Mura die Zelle teilt, die schwer krank ist und die halt die ganze Zeit schreckliche Horror-Stories erzählt. Und dann gibt es noch die Gefängniswärter. Und das war’s. Gefängniswärter, die sie angraben und nach ihrer Nummer fragen. Also ich finde es echt krass, wie Mura davon auch erzählt. Sie macht ja auch voll viele Jokes. Manon hat es ja auch schon gesagt, sie bewahrt sich ihren Humor. Aber man hört schon auch durch, dass das wahrscheinlich überhaupt nicht lustig, sondern ziemlich unangenehm war. Ja, also das merkt man schon, wenn sie erzählt, was das für so eine krasse Erfahrung ist in dem Moment, wie schrecklich das alles für sie ist. Es ist so, dass man nicht aus ihrem Zimmer kommen kann für einige Stunden. Klingt, als ob es machbar sein sollte, oder? Aber irgendwie sind wir so gewohnt in der Privilegierung der Freiheit, dass es unvorstellbar ist, wie verdrängend es ist, wenn man nicht einfach tun kann, was man will, wie man es gewohnt ist. Mura sitzt da also allein in ihrer Gefängniszelle und findet es viel schlimmer, viel einschränkender als erwartet. Ich denke da gerade an Hausarrest, den man als Kind oder Jugendliche vielleicht mal hatte, wenn man nicht raus darf und sich nur mit dem beschäftigen kann, was man halt so im eigenen Zimmer rumliegen hat. Und nach ein paar Stunden wird es dann schon echt langweilig. Aber Mura, die hat halt nichts. Nur sich selbst und ihre eigenen Gedanken. Und obwohl das machbar klingt für ein paar Stunden oder Tage, ist es halt super hart, weil wir so an das Privileg der Freiheit gewöhnt sind, sagt sie. Und in dieser Ausnahmesituation, in der man ja wirklich einfach nur nach Hause will, wahrscheinlich, da frage ich mich, also bei aller Liebe zur Mathematik, warum wünscht sie sich in dieser Situation ausgerechnet ein Paper über motivische Homotopie-Theorie? Ja, gute Frage. Ich glaube, um das zu verstehen, da müssen wir vielleicht ein bisschen zurückspringen. Mura ist in die Mathematik gekommen, weil in ihrer Familie alle eher Geisteswissenschaftler sind. Also wirklich alle. Okay, Geisteswissenschaften liegen ja also. Aber Mura ist neugierig und sagt: Ich will das machen, was ich nicht verstehe. Und das ist diese geheimnisvolle Mathematik. Ich habe mit der Mathe strummig gemacht. Ich mag Algebra. Also sagen wir mal, ich bin gut in Algebra. Aber ich konnte Geometrie, auch Physik, Informatik, also alles außer Algebra nicht machen. Das ist sehr lustig, weil mein Forschungsthema jetzt Algebra und Geometrie ist. Und in der Schule konnte ich kein einziges Geometrie-Problem lösen. Also Mura will Mathematikerin werden, gerade weil es da Probleme gibt, die sie nicht so leicht lösen kann. Das hat für sie etwas Verlockendes. Und sie will dann als junge Studentin in St. Petersburg unbedingt diese Welt der Mathematik richtig kennenlernen. Aber das ist nicht so einfach. In St. Petersburg in Russland bekommt Mura keine Infos zu internationalen Konferenzen oder so. Also googelt sie einfach selbst. Und Mura denkt sich schon beim Googlen: Ach du Scheiße, ich verstehe ja nicht mal die Titel. Also ich kenne ja noch nicht mal alle Wörter, die in den Namen der Konferenzen vorkommen. Aber dann gibt es die eine Konferenz, die heißt „Vektorbündel und algebraische Kurven“. Und das sagt ihr was, zumindest genug, um Mut zu fassen. Und das wird dann also ihre erste internationale Konferenz im September 2014 in Berlin. Also offensichtlich hat Mura eine sehr, sehr große Leidenschaft für Mathematik. Da ist es ja auch logisch, dass sie auf Mathe-Konferenzen gehen will. Und ich finde es auch einen echt starken Schritt, dass sie das dann einfach selbst in die Hand nimmt. Der Besuch ihrer ersten Konferenz ist für sie eine große Erleichterung. Und die Konferenz ist dann auch ein echter Glücksgriff für sie. Und das liegt daran, dass sie auf dieser Konferenz einen Mathematiker kennenlernt. Und zwar einen Mathematiker, der wirklich weltweit ein Experte für Muras Lieblingsgebiet in der Mathematik ist: Homotopie-Theorie. Sein Name ist Mark Levine. Ich wusste bereits über seine Forschungsarbeit, weil ich dieses Thema studieren wollte. Ich habe ihn als Rechercheure vorher gehört, als einer der weltweiten Experten im Thema Mathematik-Homotopie-Theorie. Aber dann kam ich zur Konferenz und es war sofort klar, dass er auch eine sehr nette und freundliche Person ist. Man sieht ihn einfach reden und man wird beeindruckt, wie freundlich er ist. Und das war es. Mura kennt also Mark Levines Forschungsgebiet schon vorher. Aber auf der Konferenz lernt sie ihn dann persönlich kennen und findet ihn auch noch unglaublich sympathisch. Und das ist dann der Grund, dass sie kurze Zeit später im Gefängnis sein Paper lesen will. Ja, tatsächlich. Sie will es aber nicht unbedingt lesen. Das hat sie zu diesem Zeitpunkt schon längst. Sie will es einfach haben, als so eine Art Talisman. Ja, und sie haben mir dieses Papier gebracht. Ich habe es schon vorher gelesen, also habe ich es nicht wirklich gelesen. Aber es war wie mein Talisman, etwas, was mich warm macht und mir die Möglichkeit gibt zu träumen. Das war sehr nett. Und das finde ich jetzt wirklich erstaunlich, weil Mura einfach irgendwie diese Zeit im Gefängnis überstehen möchte. Und sie macht das, indem sie sich ganz genau ausmalt, wie ihre Zukunft aussehen wird. Ich werde aus diesem Gefängnis rauskommen. Ich werde mich an der Uni Duisburg-Essen bewerben, wo Marc Levin doziert. Ich werde meinen Doktor bei Marc Levin machen. Und dann, wenn ich fertig bin, dann werde ich zu ihm hingehen und dann werde ich ihm alles einfach erzählen. Und dieser Traum von ihrer Zukunft in der Mathematik, an dem sie sich in ihrer Gefängniszelle klammert, der geht dann auch so in Erfüllung. Tatsächlich, ganz genau so. Mura bewirbt sich auch gar nicht irgendwo anders. Das ist so eine Art self-fulfilling prophecy oder so, die Kraft der Fantasie. Es gibt gar keinen Plan B und Mura promoviert tatsächlich in Essen bei Marc Levin. Ich habe das Geheimnis die ganze PhD-Zeit gehalten. Und es war so schwer, weil er mich irgendwann fragte, ob ich fahre. Und ich sagte: Nein. Er meinte: Du hast keine Fahrradkarte. Ich sagte: Ja, aber ich fahre nicht. Er meinte: Warum? Was ist passiert? Ich kann es dir nicht erzählen. Ich kann es dir nicht erzählen, frag mich nicht. Also habe ich das Geheimnis die ganze Zeit gehalten. Und es war, glaube ich, in der schwersten Zeit der PhD. Und weißt du, wenn du die eigentliche Sache aufschreiben musst, kann es wirklich schrecklich sein. In den letzten PhD-Stagen kann es schwer sein. Und ich habe mich immer gesagt: Okay, aber dann kann ich meine Geschichte erzählen. Ich kann meine Geschichte erzählen. Ich kann meine Geschichte erzählen. Mura will unbedingt ihre Geschichte erzählen. Aber es soll nach ihrem Plan, nach ihrer Vision ablaufen. Deshalb will sie Marc Levine während ihrer Promotion auch nicht verraten, warum sie nicht Auto fährt, obwohl sie einen Führerschein hat. Erst 2019, bei Muras Abschlussfeier zur Promotion an der Uni Duisburg-Essen, ist es dann soweit. Sie hat das Gefängnis-Paper mitgebracht und erzählt vor ihrem Team und vor allem vor ihrem Doktorvater Marc Levine, wie sie hier eigentlich gelandet ist, was alle natürlich erstmal ziemlich beeindruckt hat. Und wir wollen natürlich in dieser Folge auch noch in das Gefängnis-Paper reinschauen, beziehungsweise mal genauer hinschauen, was es mit diesem Forschungsgebiet in der Mathematik überhaupt auf sich hat. Deshalb, Manon, ganz einfache Frage erstmal: Was ist denn diese motivische Homotopie-Theorie? Ja, gar nicht mal so eine einfache Frage, Caro. Aber ich würde mal sagen, also in der Homotopie-Theorie, da geht es eigentlich darum, einmal die gesamte Mathematik aufzuräumen. Und wenn man jetzt auf die Schnittstelle schaut, also an der Mura forscht, das ist die sogenannte K-Theorie, da geht es vor allem um geometrische Objekte. Also die kann man dann mit der Homotopie-Theorie einmal alle zusammenwerfen und komplett neu sortieren. Und wenn du sagst „aufräumen“, wie kann ich mir das dann vorstellen? Das ist ja wahrscheinlich ein bisschen anders als Küche aufräumen, zum Beispiel. Also lustigerweise gar nicht so sehr, finde ich zumindest. Weil Mathematikerinnen und Mathematiker auch gerne sagen, wir erfinden neue Schubladen und sortieren da alles schön rein. Also damit ich das richtig verstehe: Wir haben eine schön aufgeräumte Küche mit einer Schublade für Kugeln und einer für Graden und einer für Prismen oder so. Und dann schmeißen wir alles zusammen und erfinden neue Schubladen. Ja, so ungefähr. Aber warum? Also die Idee ist, dass man dann was lernen kann über alles, was in einer einzigen Schublade steckt. Der Inhalt kann theoretisch alles Mögliche sein, also Gleichungen, Vektoren, Knoten oder irgendwie sonst was. Aber bleiben wir mal bei geometrischen Objekten, zum Beispiel Donuts. Ah, da sind sie endlich, die Donuts! Also eine Schublade für Donuts. Genau, nur Mathematiker würden halt eher sagen: eine Schublade für Dinge mit genau einem Loch, zum Beispiel Donuts. Aber eben auch eine Kaffeetasse, zum Beispiel. Die hat ja auch genau ein Loch, nämlich im Henkel. Und die darf dann halt eben auch in die Schublade. Okay, das kann ich mir soweit vorstellen. Schubladen für Donuts und Kaffeetassen. Was kann ich da denn jetzt rausfinden, was ich nicht eh schon weiß, wenn die einfach ordentlich nach Donuts und Kaffeetassen sortiert sind? Also die Idee ist, es gibt Dinge, die man für alle Objekte innerhalb einer Schublade beweisen kann. Zum Beispiel kann ich vielleicht mathematisch beweisen: Alles, was in der einen Lochschublade ist, da kann ich immer einen Angelhaken durchwerfen. Aber dazu bräuchte ich ja eigentlich nicht unbedingt die Schublade, wahrscheinlich. Oder? Also ich sehe ja auch so, dass ich Donuts und Kaffeetassen theoretisch angeln kann. Ja, aber in der Schublade sind halt eben auch richtig weirde mathematische Objekte, die man sich halt nicht mehr so wirklich vorstellen kann. Weil sich Mathematikerinnen und Mathematiker ja eben nicht nur für Donuts interessieren, die ja eine einfache zweidimensionale Oberfläche sind, die man sich also schön visualisieren kann, sondern zum Beispiel auch für Objekte, die in viel, viel höheren Dimensionen leben. Ich habe es geahnt. Es hat so schön anschaulich angefangen und jetzt kommt hier nämlich doch der zehndimensionale Donut oder so. Also ich muss gestehen, da komme ich mal wieder an die Grenzen meiner Vorstellungskraft. Also keine Angst, vorstellen kann sich das keiner. Und genau deswegen brauchen wir ja eben diese Schubladen. Dann kann ich nämlich beweisen, dass irgendwelche krassen Super-Donuts mit unendlich vielen Löchern, dass ich für die halt eben auch eine Super-Angel finde, mit der ich die angeln kann. Weil die sind ja dann in der Schublade und wir haben ja bewiesen, alles, was in dieser Schublade ist, kann ich angeln. Aber wie geht das? Also woher weiß ich zum Beispiel, wie dieser komplizierte Super-Donut aussieht, wie viele Löcher der hat und in welche Schublade der dann gehört? Schön, dass du fragst. Nämlich genau dafür braucht man die algebraische Geometrie. Da schaut man sich nämlich eigentlich die Gleichung an. Also das ist der algebraische Teil. Im Prinzip ist das wie in der Schule. Wenn wir eine Funktion bekommen, dann können wir die aufzeichnen und haben halt eben so einen Graph. Also zum Beispiel x zum Quadrat ergibt eine Parabel. Und das geht halt eben auch für einen 10-dimensionalen Donut. Da sind die Gleichungen dann halt nur viel komplizierter. Und mit diesen Gleichungen kann man natürlich rumrechnen. Und da kann man dann auch ausprobieren, was passiert, wenn ich mathematisch gesehen eine Angel reinwerfe, auch wenn ich nicht weiß, wie es genau aussieht. Das klingt ziemlich cool, aber auch sehr abstrakt. Was mache ich dann damit, wenn ich weiß, ich kann diesen 10-dimensionalen Donut angeln? Tatsächlich sind solche abstrakten Dinge auch in der realen Welt relevant, auch wenn man es vielleicht nicht denkt. Weil in der Physik zum Beispiel ist man auf hochdimensionale Strukturen angewiesen. Unser Universum ist ja vierdimensional. Also wir haben drei Raum- und eine Zeitdimension. Und deshalb tauchen in der allgemeinen Relativitätstheorie, die ja unseren Kosmos beschreibt, dann auch vierdimensionale Strukturen auf. Also vierdimensionale Donuts mit Löchern für die allgemeine Relativitätstheorie. Oder vielleicht nicht nur Donuts, aber MathematikerInnen und PhysikerInnen lieben es offensichtlich, sich sehr komplizierte geometrische Objekte in hohen Dimensionen vorzustellen und dann in Schubladen zu sortieren. Und da kann halt eben die K-Theorie helfen, weil sie nämlich ganz viele neue Schubladen liefert und dann nochmal Unterschubladen zu diesen Schubladen und dann nochmal Unterschubladen dazu. Und am Ende weiß man dann ziemlich viel über ziemlich krass komplizierte Donuts und andere Figuren. Oder umgekehrt: Da sind vielleicht zwei Donuts, die auf den ersten Blick ziemlich ähnlich aussehen, und mit der K-Theorie kann man zeigen, dass sie doch unterschiedlich viele Löcher haben oder so. Also das, was Mura macht, K-Theorie plus motivische Homotopie-Theorie, das ist so ein bisschen die Suche nach dem perfekten Schubladensystem. Du kannst dir das vorstellen wie ein Computerprogramm. Da gibst du jetzt irgendeine komplizierte geometrische Figur rein, also die Gleichung dazu, zum Beispiel deinen zehndimensionalen Donut, und die K-Theorie liefert dir dann erstmal eine Zahl, zum Beispiel die Anzahl der Löcher. Okay, das ist die erste Schublade. Und die ist noch ziemlich groß, weil da ja nicht nur Donuts drin liegen. Also brauchst du die nächste Zahl, die noch genauer zu deinem Donut passt für die Unterschublade. Und da geht es vor allem darum, was man mit der Oberfläche des Donuts alles machen kann. Also was kann man da alles draufmalen, zum Beispiel? Oder was passiert, wenn man außen was verdreht? Oder was passiert, wenn der Donut Haare hat? Wie kann man den dann kämmen? Also ganz weirde Fragen, aber all das ist mathematisch relevant. Und da kann man schon ziemlich verrückte Dinge ausrechnen und so neue Schubladen finden. Und damit kann man immer mehr Unterschubladen in die Schubladen verschachteln. Genau. Ich traue mich gar nicht zu fragen, wie man diese Zahlen dann berechnet, von denen du da sprichst. Ja, mach das mal lieber nicht, weil das ist nämlich super, super schwer, auch für Expertinnen auf dem Gebiet. Also genau da drin besteht aktuell noch eine der Hauptschwierigkeiten der K-Theorie. Okay, ich sehe es ein. It’s complicated. Ja, tut mir voll leid. Tatsächlich hat Mura auch ein paar Videos auf YouTube, wo sie halt versucht, ihr Thema zu erklären. Und da sagt sie auch direkt am Anfang, dass ihre Kolleginnen und Kollegen manchmal fragen: Oh man, warum musst du unbedingt die K-Theorie erklären? Their first reaction was: K-Theory? Really? You couldn’t find anything more accessible? Why choose such a hard topic? And frankly, their concerns are completely valid. Indeed, within pure math, algebraic K-Theory is particularly hard to pitch. Okay, das finde ich ja etwas beruhigend, also dass das auch für MathematikerInnen kompliziert ist. Ja, genau. Es ist halt einfach super abstrakt. Mura erzählt dann später noch, dass damals die Leute, die die K-Theorie definiert haben, dass sie dafür schon eine Fields-Medaille bekommen haben. I don’t know another example when a Fields Medal would be given for definition. According to Wikipedia, Daniel Quillen, an American mathematician, is known for… being the prime architect of higher algebraic K-Theory, for which he was awarded the Fields-Medaille im Jahr 1978. Oh wow, das heißt, 1978 gab es die Fields-Medaille nur in ganz großen Anführungsstrichen für die Definition, was K-Theorie überhaupt ist. Ja, und um genau zu sein, ging es da sogar nur um einen bestimmten Bereich der K-Theorie, nämlich die höhere algebraische K-Theorie. Also, einen solchen Preis für eine Definition zu bekommen, das zeigt ja, wie krass komplex und abstrakt das Gebiet an sich ist. Hat das denn dann überhaupt irgendwelche Anwendungen? Also nutzt es noch jemand außer den MathematikerInnen, die daran forschen und damit super abstrakte Figuren voneinander unterscheiden? Also erstaunlicherweise ja. Die K-Theorie kann in der Physik auftauchen, nämlich in der String-Theorie. Also das ist diese super abgefahrene Theorie, die du vielleicht auch schon von The Big Bang Theory kennst, weil Sheldon Cooper daran forscht. Ja, die String- Theorie ist allerdings sehr, sehr spekulativ. Also zum Beispiel sagt sie, dass das Universum mindestens neun Raumdimensionen hat und so, obwohl wir halt eben nur drei beobachten. Das klingt nicht viel weniger abstrakt für mich als die K-Theorie selbst. Ja, stimmt schon. Aber die K-Theorie taucht auch überraschenderweise bei ganz normalen Bereichen der Physik auf, nämlich bei Festkörpern, also festen Materialien wie Metallen, Halbleitern und so weiter. Okay, also ich weiß jetzt gerade ehrlich gesagt nicht, was das bedeutet, aber es klingt sehr abgefahren. Ja, also ich finde es auch ziemlich erstaunlich und die Physikwelt auch, denn erst 2016 gab es einen Nobelpreis in diese Richtung. Denn Physikerinnen und Physiker haben herausgefunden, dass sich Elektronen in bestimmten Materialien so seltsam verhalten, dass man unter anderem Methoden aus der K-Theorie braucht, um die Materialien richtig zu sortieren in Schubladen. Denn früher gab es in dem Bereich der Physik nur drei Schubladen. Also ein Festkörper konnte entweder ein Leiter sein, ein Halbleiter oder ein Isolator, also je nachdem, wie gut das Material Strom leitet. Und inzwischen gibt es viele neue Schubladen, die sich mit der K-Theorie berechnen lassen. Also da gibt es dann zum Beispiel Stoffe, die in ihrem Inneren ein Isolator sind, aber an der Oberfläche Strom auf ganz bestimmte Art und Weise leiten. Also man kann schon sagen, dass die K-Theorie inzwischen so langsam in den angewandten Wissenschaften angekommen ist. Und die K-Theorie hat es dann jetzt auch in unseren Podcast geschafft. Obwohl wir für unsere Donut-Definition hier natürlich wieder keine Fields-Medaille bekommen werden. Aber gut, ich habe auf jeden Fall größten Respekt, dass MathematikerInnen wie Mura das nicht nur verstehen, sondern dieses Feld auch noch immer weiterentwickeln können. Manon, wie ging es denn dir damit? Ja, also die K-Theorie stand schon super lange auf meiner To-Do-Liste, eben gerade weil ich sie so spannend finde, weil sie abstrakt ist und immer noch Anwendungen in der Physik findet. Aber sie ist halt super kompliziert und für mich war es immer total schwer, einen zugänglichen Zugang dazu zu finden. Und deshalb habe ich mich wahnsinnig gefreut, als ich gesehen habe, dass Mura Videos dazu macht und das versucht, einfach aufzubereiten. Und die habe ich geschaut, um das jetzt ein bisschen besser zu kapieren. Ja, den Link zu den Videos packen wir euch natürlich auch noch in die Shownotes, beziehungsweise den Link zu Muras YouTube-Kanal mit dem sehr schönen Namen MathLifeBalance, auf dem sie diese Videos veröffentlicht hat und auf dem sie auch sehr viele bekannte MathematikerInnen interviewt. Ja, genau, darüber bin ich überhaupt erst auf Mura gestoßen damals. Und ihre Geschichte, ich hatte wenig überraschend vorher noch nie von Mura gehört, also bevor ihr ihre Geschichte vorgeschlagen habt. Aber ich habe dann recht schnell herausgefunden, dass ich ihr zumindest theoretisch schon mal hätte begegnen können oder vielleicht sogar bin, wer weiß. Ich habe nämlich von 2014 bis 2023 in Essen auch gelebt und ich habe da auch an der Uni Duisburg-Essen studiert. Aber meine Bubble waren halt eher die GeisteswissenschaftlerInnen und wir haben gehört, von den GeisteswissenschaftlerInnen hat Mura ja ganz bewusst Abstand genommen. Demian, du hast ja gesagt, du hast dich in Muras Geschichte ganz oft wiedererkannt. Inwiefern ist das denn? Ja, also Mura erzählt ja von vielen ersten Erfahrungen als Wissenschaftlerin, also zum Beispiel die erste Konferenz, die Unsicherheit, die dadurch einhergeht, dass man die Titel von Konferenzen gar nicht versteht oder die Suche nach Fördermitteln, um an solchen Konferenzen teilzunehmen, die Begeisterung, eine Zusage zu bekommen. Das alles sind tatsächlich Momente, die ich sehr gut nachempfinden konnte, wo ich mich selbst auch gesehen habe, als ich als kleiner, junger Student plötzlich eine Zusage bekommen habe oder plötzlich mit einer bekannten Person aus meinem Forschungsfeld mich austauschen konnte. Manon, wie waren denn da deine Erfahrungen mit so Konferenzen? Ja, also bei mir war das tatsächlich nicht so schwer, auf die Konferenzen zu kommen. Das war immer total cool im Studium. Und ich muss sagen, dass ich auch jetzt das total genieße, wenn ich an der Konferenz teilnehmen kann und mittlerweile sogar vielleicht noch aufgeregter bin als damals, wenn ich da auf namhafte Größen stoße und irgendwie schlaue Fragen stellen will und mich immer wieder frage, ob die überhaupt mit mir reden wollen. Ja, das kann ich mir vorstellen, dass man da erst mal ein wenig eingeschüchtert ist. Kennst du das auch, Demian? Oder macht dir das nichts aus, vor einem Professor zu stehen, den du toll findest? Also, man hat immer so diese Frage: Wie tickt die Person? Ist sie vielleicht nahbar oder das genaue Gegenteil? Generell ist die Erfahrung dann doch, dass die meisten eher total entspannt und gechillt sind und sich freuen, mit jungen Studentinnen zu sprechen und sich über Mathematik auszutauschen. Es kann auch ein paar blöde Leute geben, aber die meisten sind dann doch eher ganz cool. Kann ich nur empfehlen, sich zu trauen, diese Leute anzusprechen. Okay, das finde ich sehr schön, weil man sagt ja oft: Never meet your idols. Aber das heißt, dass du die Erfahrung gemacht hast, dass es nicht immer desillusionierend sein muss, wenn man seinen Vorbildern dann tatsächlich mal begegnet. Und das war unsere Geschichte aus der Mathematik über Mura, aka Maria Jakerson. Übrigens auch eine Geschichte, über die Manon schon mal einen Spektrumartikel geschrieben hat. Den Link packe ich euch auch in die Show Notes. Für mich ist diese Geschichte von Mura auch eine Geschichte darüber, was wahrscheinlich alle sehr guten MathematikerInnen gemeinsam haben: Eine gute Vorstellungskraft, sehr, sehr viel Resilienz und natürlich gute LehrerInnen. Und in zwei Wochen gibt’s hier die nächste Geschichte. In der geht’s dann um einen Mathematiker, dem bei einem Wettbewerb ein peinlicher Fauxpas passiert, den er dann versucht, wieder auszubaden. Schaltet also gern wieder ein, folgt dem Podcast auf der Streaming-Plattform eurer Wahl, abonniert den RSS-Feed in eurem Lieblings-Podcatcher und hinterlasst uns gern weiterhin so liebe Nachrichten als Kommentar oder E-Mail. Dabei geht Manon, Demian und mir nämlich echt immer das Herz auf. Danke euch allen fürs Schreiben und natürlich auch fürs Zuhören. Und fürs Ende dieser Folge möchte ich das letzte Wort gern Mura überlassen. Geschichte aus der Mathematik ist eine Kooperation vom Podcast Radio detektor.fm und Spektrum der Wissenschaft. Die Idee für den Podcast und die Story kommen von Demian Nauel Goss, die Mathematik erklärt hat. Manon Bischoff hat die Redaktion übernommen. Charlotte Thielmann. In der Redaktion mitgeholfen haben neben mir Demian Nauel Goss und Manon Bischoff. Die Musik kommt von Tim Schmutzler. Die Folge produziert hat Benjamin Serdani und die Moderation kommt von mir, Caroline Breitschädel. Alle Folgen findet ihr auf detektor.fm und spektrum.de.