Cédric Villani: Mathematiker mit politischem Potenzial
Am 5. Oktober 1973 kommt Cédric Villani in Brive-la-Gaillarde im Südwesten Frankreichs zur Welt und kommt schon früh mit Kunst, Kultur und Wissenschaft in Berührung. Seine erste Erinnerung, die er mit Mathematik verbindet, sei in früher Kindheit der Disney-Zeichentrickfilm „Donald in Mathmagic Land“ gewesen, und seitdem ist seine Begeisterung für Mathematik nur weiter gewachsen. Mathe-Rätsel, Mathe-Bücher, Mathe-Aufgaben — das alles macht ihm großen Spaß und so wundert es wahrscheinlich niemanden, dass er mit 19 Jahren beginnt, Mathematik zu studieren.
An der Elite-Uni „École normale supérieure“ in Paris beginnt seine Mathe-Karriere. Es folgt erst der Doktor, dann die Professur in Mathematik und schließlich wird Villani 2009 zum Direktor des renommierten Institut Henri Poincaré für Mathematik und theoretische Physik in Paris ernannt. Nur ein Jahr später folgt der Höhepunkt seines mathematischen Werdegangs: die Ehrung mit der Fields-Medaille. Diese Auszeichnung erhöht das öffentliche Interesse an Villani enorm. Er gibt unzählige Interviews, wird als Experte angefragt, spricht auf vielen Konferenzen — und macht auf einmal mehr Wissenschaftskommunikation als mathematische Forschung. Dabei merkt er, dass es ihm sehr liegt, seine Inhalte verständlich zu vermitteln. Und wenn das auf Konferenzen funktioniert, warum dann nicht auch in der Politik? 2017 geht er aufs Ganze, kandidiert im Département Essonne für Emmanuel Macrons Partei „La République en Marche“ für die Parlamentswahlen — und gewinnt.
Als Abgeordneter der Nationalversammlung bringt Villani seine wissenschaftliche Expertise in die Politik ein. Innerhalb von sechs Monaten erarbeitet er mit seinem siebenköpfigen Team einen Entwurf für die französische KI-Strategie.
Demian Nahuel Goos, Mathematiker

„It’s the world which is so damn complicated“
Villani ist überzeugt: Mathematik kann unsere Sicht auf die Welt verändern. Doch dafür muss man sie verstehen. Und für die meisten Menschen wirke Mathematik sehr, sehr kompliziert. Dabei sei es gar nicht die Mathematik, die so kompliziert ist, so Villani, sondern die Welt. Und in dieser komplexen Welt mit ihren zahlreichen Herausforderungen — Pandemien, Klimakrise, Digitalisierung, Energiewende usw. — brauche es Fachleute in der Politik, die sich mit Wissenschaft auskennen, sie verstehen, sie „übersetzen“ können. Villani füllt also diese Lücke als Brückenbauer zwischen Wissenschaft und Politik.
Doch nicht nur auf der gesellschaftlichen Ebene scheint die Welt immer komplexer zu werden, sondern bewiesenermaßen auch auf mathematischer Ebene. Erkannt hat das der österreichische Physiker und Philosoph Ludwig Boltzmann bereits im 19. Jahrhundert — beweisen konnte es erst Cédric Villani. Es hängt mit den spezifischen Eigenschaften kleinster Teilchen wie Atomen und Molekülen zusammen. Doch die berühmte Boltzmann-Gleichung birgt bis heute Geheimnisse.
Die Boltzmann-Gleichung bildet das Bindeglied aus der Mikroebene, in der die Zeitrichtung egal ist, und der Makroebene, wo eben die Zeitrichtung eine entscheidende Rolle spielt. Und genau das macht sie so interessant.
Manon Bischoff, Mathe-Redakteurin bei Spektrum der Wissenschaft

Inwiefern hilft die Boltzmann-Gleichung, die Komplexität der Welt zu beschreiben? Wie schafft Villani es, Laien für mathematische Phänomene zu begeistern? Und wenn man erfolgreich Wissenschaftskommunikation machen will — ist eine extravagante Spinnenbrosche dann eher hinderlich oder förderlich? Darüber sprechen detektor.fm-Moderatorin Karolin Breitschädel, Spektrum der Wissenschaft-Redakteurin Manon Bischoff und Mathematiker Demian Nahuel Goos in dieser Folge von „Geschichten aus der Mathematik“.
„Geschichten aus der Mathematik“ ist ein detektor.fm-Podcast in Kooperation mit Spektrum der Wissenschaft. Die Idee für diesen Podcast hat Demian Nahuel Goos am MIP.labor entwickelt, der Ideenwerkstatt für Wissenschaftsjournalismus zu Mathematik, Informatik und Physik an der Freien Universität Berlin, ermöglicht durch die Klaus Tschira Stiftung.