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Bild: furtseff | Shutterstock

Saitenwechsel: Die erste Geige im Orchester

Die erste Geige – ein Leuchtturm im Orchester

„Wenn alle die erste Geige spielen wollen, kommt kein Orchester zusammen“, hat damals schon Robert Schumann gewusst. Erst im Verbund mit dem Orchester kann das tonangebende Instrument glänzen. Doch wie ticken Musiker, die so eine wichtige Rolle spielen? Und was ist eigentlich der Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Geige? Zeit für einen Saitenwechsel.

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Gitarre, Schlagzeug, Bass und Gesang – zusammen ergibt das mehr als nur die Summe der einzelnen Teile. Das ist in der Klassik nicht anders. Eine Geige allein klingt schön und gut, aber zusammen mit einem ganzen Orchester ergibt das eben nicht nur übereinandergeschichteten Instrumenten-Matsch sondern irgendwas Magisches, was man gar nicht so einfach in Worte fassen kann.

Von Gleichberechtigung kann in der Musik aber nicht die Rede sein. In einer Band z.B. agiert die Rhythmusgruppe, also Bass und Schlagzeug, meistens im Hintergrund. Tonangebend ist der Sänger. Der Bandleader im Orchester ist die erste Geige. Sie spielt die wichtigen, vordergründigen Melodien. Und sie ist nicht allein. In einem Sinfonieorchester kommen bis zu 16 erste Geigen zum Einsatz. Aber wie ticken Musiker, die im Orchester so eine tragende Rolle haben? Ich treffe jemanden, der sehr viel Erfahrung auf diesem Gebiet hat.

Ein Leuchtturm im Orchester

Der Konzertmeister ist der Chef der ersten Geigen. Er sitzt direkt neben dem Dirigenten und trägt ganz schön viel Verantwortung.

Er gibt auch an, wie etwas gespielt werden soll, natürlich nach den Wünschen des Dirigenten. Er ist so eine Art Vermittler zwischen dem Dirigenten und dem Orchester und manche im Orchester halten ihn auch für einen Leuchtturm. Wenn es um Einsätze geht, schauen viele Orchestermitglieder beim Spielen nicht nur auf den Dirigenten, sondern auch auf den Konzertmeister.

Im 18. Jahrhundert hat sich das Orchester ausschließlich nach dem Konzertmeister gerichtet. Da gab’s nämlich noch keinen Dirigenten, wie mir der Musikwissenschaftler Wolfgang Schreiber berichtet.

 In der Barockmusik wurde eine Kapelle vom Cembalo oder von der Geige aus geleitet. Bach hat noch mit der Geige in der Hand dirigiert.

„Concertare“ – streiten sich die Geigen?

Die Geigen sind im Orchester so wichtig, dass es gleich zwei Gruppen gibt. Aber was ist eigentlich der Unterschied zwischen den ersten und zweiten Geigen? Das fängt schon bei der Sitzordnung an, die mir die Musikchefin der FAZ Eleonore Büning erklärt.

Eleonore Büning - Musikredakteurin der FAZ

Musikredakteurin der FAZ
Es gibt verschiedene Möglichkeiten ein Orchester aufzustellen: Die amerikanische und die deutsche Aufstellung. Bei der einen sitzen die ersten und zweiten Geigen nebeneinander. Da gibt es eine größere Homogenität. Bei der deutschen Aufstellung sitzen sie wie im Kampf gegenüber. „Concertare“ heißt ja streiten.Eleonore Büning

Sind sich die ersten und zweiten Geigen dann also spinnefeind? Und haben die Musiker der ersten Geige mehr drauf als die von der zweiten? Karl Suske.

Der Unterschied zwischen den ersten und zweiten Geigen ist nicht etwa der, dass die ersten Geigen besser spielen als die zweiten, sondern sie haben ganz einfach eine andere Stimme. Die zweiten Geigen spielen etwas anderes als die ersten. Auch bei den zweiten Geigen gibt es Konzertmeister.

Karl Suske - ehem. Konzertmeister im Gewandhaus

ehem. Konzertmeister im Gewandhaus
Mein Name ist Karl Suske. Ich war 47 Jahre lang Orchestermitglied, davon 39 Jahre im Gewandhaus und den Rest in der Berliner Staatskapelle als Konzertmeister.Karl Suske

Keine Qualitätsunterschiede zwischen erster und zweiter Geige

Aber die ersten Geigen spielen doch zumindest immer den wichtigeren Part?

Das liegt an dem Stück, das gespielt wird. Es kann auch sein, dass die zweiten Geigen mal wichtiger sind. Aber was die ersten Geigen zu spielen haben ist meistens schwieriger. Die Qualität der Spieler ist in beiden Fällen die gleiche.

Ob man im Orchester erste oder zweite Geige spielt, kann man sich übrigens nur bedingt aussuchen, sagt Suske. Das richtet sich danach, ob eine Stelle frei ist. Wer sich dann beim Probevorspiel behaupten kann und den Posten bekommt, ist Teil der größten Gruppe im Orchester. Das heißt auch, dass man mal untertauchen kann, wenn man den Faden verliert.

Wenn man mal ein paar Töne nicht spielt, dann fällt das nicht auf, weil es andere tun. Das merkt nur der Kollege, der neben einem sitzt und dem kann das auch passieren. Es hängt natürlich auch ein bisschen von der Größe der Gruppe ab. Es gibt Orchester, die nur sechs erste Geigen haben. Da fällt so etwas ein bisschen mehr auf.

Parallelen zum Zwischenmenschlichen

Noch dazu kann es für den Sitznachbarn ganz schön irritierend sein, wenn es neben ihm nicht so klingt, wie es klingen sollte. So ist jeder Geiger der Gruppe verpflichtet.

Ob nun Gruppendynamik, Hierarchien oder Instrumente die mehr oder weniger tonangebend sind – all das bietet eine Menge Stoff für Parallelen zum Zwischenmenschlichen. Der Film Saiten des Lebens z.B. ist so eine Versuchsanordnung. Die musikalischen Beziehungen eines Quartetts sind hier gleichermaßen ein Soziogramm der verschiedenen Charaktere.

Und was spielst du bei dieser Aufnahme? – Die zweite Geige, wie immer. Das ist mein Part – Immer? – Ja, ohne mich wären sie ein einsames, frustriertes Trio. Doch die erste und zweite Geige haben nichts mit Hierarchie zu tun. Sie spielen nur verschiedene Rollen. – Inwiefern? – Naja, manchmal spiele ich die Melodie und manchmal die untere Stimme. Ich verbinde die erste Geige, die ja meistens die Solo-Passagen spielt, mit der Bratsche und dem Cello. Ich verbinde alles miteinander. Das ist mein Job. – Klingt ziemlich wichtig, nur hast du denn nicht das Bedürfnis ab und zu auch mal die erste Geige zu spielen? – Ja, natürlich!

Auch mal den Ton angeben und der sein, an dem sich alle orientieren – das ist schon verlockend. Kein Wunder, dass die erste Geige so beliebt ist. Aber schon damals im 19. Jahrhundert wusste der Komponist Robert Schumann:

Wenn alle die erste Geige spielen wollen, kommt kein Orchester zusammen.

Recht hat er. So richtig glänzen können die ersten Geigen nämlich erst dann, wenn auch die anderen Instrumente mitmachen. Dann passiert im Konzertsaal das, was die Hamburger Rock-Band Kante mit ihren Worten so übersetzt:

Wir haben Gitarren, das Klavier und den Bass. Wir haben das Schlagzeug, den Gesang und all das ist in guten Momenten für eine Weile mehr als die Summe der einzelnen Teile.

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