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Wenn ein Joghurt abgelaufen ist, dann muss er noch lange nicht verdorben sein. Das Mindesthaltbarkeitsdatum auf der Verpackung ist eher als grober Anhaltspunkt gedacht. Trotzdem fliegen täglich tausende Joghurts, Milchtüten und Fleischpackungen in den Müll – häufig sogar, bevor die Waren abgelaufen sind. Denn viele Supermärkte sortieren Tage vorher aus, weil sie glauben, dass den Kunden nur fabrikfrische Produkte zumutbar sind.
Eine App für alle Märkte
Das ist völliger Irrsinn, dachte sich der Kölner Student Christoph Müller-Dechent. Deshalb hat er die App Foodloop entwickelt. Sie soll Kunden benachrichtigen, welche Produkte im Supermarkt nebenan bald ablaufen. Verkauft werden sollen diese Produkte dann zu reduzierten Preisen. Das Beste daran: Alles läuft dank mächtiger Datenbanken fast von selbst, die Supermärkte haben angeblich kaum Mehraufwand. Für die Kunden gibt es weitere Vorteile, wie eine Alarm-Funktion, wenn die gekauften Produkte im Kühlschrank tatsächlich ablaufen. Foodloop will also nicht weniger als den Lebensmittelhandel revolutionieren.
Foodloop-Gründer Christoph Müller-Dechent hat uns erklärt, wie die App funktioniert und was sie noch alles kann.
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Der Beitrag zum Nachlesen:
Christoph Müller-Dechents Ziel als ehrgeizig zu beschreiben, wäre untertrieben: Bis 2020 sollen alle Supermärkte der Welt seine App benutzen. Die Idee zu Foodloop kommt ihm im Oktober 2012. Beim Einkauf fällt ihm auf, dass Milchpackungen aussortiert werden, die noch sieben Tage haltbar sind.
Und da fragte ich, ich würde gerne drei Milch kaufen, ob ich nicht welche von denen nehmen könnte, wenn die denn reduziert wären. Und da war die Antwort der Sortiererin, nein, die kippen wir aus, die spenden wir nicht mal an die Tafel, wir kippen die aus, damit uns keiner die aus dem Container rausholt. Und den Verlust, die Abschrift kriegen wir dann von der Zentrale erstattet. – Christoph Müller-Dechent
Das Erlebnis fällt ihm wenig später wieder ein, als er in einem Uni-Seminar ein digitales Geschäftsmodell entwickeln soll. Man könnte doch das Mindesthaltbarkeitsdatum eines Produktes im Barcode auf der Verpackung speichern. Jedes einzelne Produkt eines Supermarktes ließe sich dann in einer Datenbank erfassen – mit Mindesthaltbarkeitsdatum. Wenige Tage, bevor zum Beispiel ein Joghurt abläuft, werden Kunden über eine Smartphone-App darüber informiert. An der Kasse wird dann beim Scannen der Preis automatisch reduziert. Die Idee für Foodloop war geboren. Doch es gab keinen Barcode, der ein Mindesthaltbarkeitsdatum speichern könnte.
Ich dachte, das gab es nicht. Die Recherche im Internet hat mir dann das Gegenteil gezeigt, dass es schon seit dem Jahr 2001 einen neuen Barcode-Standard gibt, der heißt DataBar, und das ist lediglich eine Erweiterung von dem EAN-Code, wie wir ihn alle kennen, in Zebrastreifenform, dass hier Zusatzinformationen wie das Mindesthaltbarkeitsdatum oder das Gewicht mit kodiert werden können, auf Barcode-Ebene. – Christoph Müller-Dechent
Der Entwicklung von Foodloop stand also rein technisch nichts mehr im Wege. Doch in Deutschland ist der neue Barcode bislang kaum verbreitet, im Gegensatz zu anderen Ländern. Trotzdem könnten auch deutsche Supermärkte Foodloop benutzen, sagt Christoph Müller-Dechent. Als Übergangslösung müssten sie ablaufende Produkte von Hand mit dem neuen Barcode bekleben. Die Kunden würden dann trotzdem automatisch benachrichtigt. Angenommen, ich gehe jeden Mittwoch um 16 Uhr einkaufen …
… dann können Sie sich in unserer App um 14 Uhr 30 benachrichtigen lassen, ob und welche Angebote aus Ihrer Shopping-Liste reduziert im Angebot sind. Und in dem Fall Milch gibt es dann diese eine Milch, da sagt Ihnen ok, Haltbarkeit nur noch fünf Tage, Rabatt 30 Prozent, das ist die Marke, und das ist der Supermarkt. Dann packen Sie sich diese Milch auf die Favoritenliste, gehen in den Supermarkt und finden die gekennzeichnete Milch mit dem Foodloop-Aufkleber und an der Seite diesem neuen DataBar-Barcode drauf. – Christoph Müller-Dechent
Zwar reduzieren Supermärkte auch jetzt schon manchmal einzelne Produkte, die bald ablaufen. Doch für die große Masse ist das zu aufwändig. Es muss ja alles mühsam umsortiert und mit neuen Preisschildern beklebt werden – wegschmeißen geht schneller und kostet weniger. Außerdem wirken Grabbelkisten mit nicht mehr ganz so frischen Produkten wenig attraktiv.
Was es noch gar nicht gibt, ist, dass genau diese Angebote über die Filiale hinaus auf die Smartphones der Kunden kommuniziert werden, und das halt automatisiert und in Echtzeit. – Christoph Müller-Dechent
Doch bei allem guten Willen: Foodloop könnte zur Konkurrenz für gemeinnützige Tafeln werden. Denn wenn im Supermarkt keine Lebensmittel mehr übrig bleiben, gehen die Tafeln leer aus. Deshalb beinhaltet Foodloop auch ein Spendensystem: Für jedes gekaufte Produkt werden an der Kasse Punkte gutgeschrieben. Dafür spendet Foodloop den Tafeln Geld. Gründer Müller-Dechent glaubt, dass sich sein Unternehmen solche Spenden locker leisten kann. Denn Foodloop kassiert für die App von den teilnehmenden Supermärkten Lizenzgebühren.
Die großen Ketten, da schmeißt jede Filiale pro Jahr 150.000 Euro an Warenwert in den Müll, die vor Ablauf weggeschmissen werden. Da sind auf der anderen Seite die Arbeitskosten, die ein Mitarbeiter dafür braucht in einer Filiale, diese Sachen umzuetikettieren und auszusortieren, und auch die Entsorgungskosten, die sind da auch noch nicht drin. Und das ist, was ein Händler heute zahlt. – Christoph Müller-Dechent
Das Kalkül ist also: Selbst wenn ein Händler Lizenzgebühren an Foodloop zahlt, soll er günstiger dabei wegkommen als heute – weil er Waren verkauft, statt sie wegzuschmeißen. Außerdem würde Foodloop ihm ein besseres Image verschaffen, so die Hoffnung. Trotzdem haben die großen Ketten in Deutschland noch nicht angebissen. Man ist in Gesprächen. In den USA dagegen ist für nächstes Jahr ein Pilotprojekt mit einer großen Discounter-Kette geplant.
Ich zeichne immer gerne den Vergleich auf zwischen USA und Europa, dass, was Innovationen angeht, die USA wesentlich schneller agieren und solche neuen Sachen umarmen, im Gegensatz in Europa oder speziell Deutschland, wo Handelsunternehmen bezüglich Innovationen gerne mal den Stock im Arsch haben. – Christoph Müller-Dechent
Bis zum kommenden Frühjahr leben Christoph Müller-Dechent und seine mittlerweile sieben Mitarbeiter noch von Stipendien und Fördergeldern. Doch dann wird es Zeit, dass ein Investor einsteigt. Bis dahin wird Foodloop im kleineren Rahmen weiter getestet und verbessert.