ALS Ice Bucket Challenge
Im Juli 2014 bahnt sich eines der erfolgreichsten Netzphänomene den Weg in die sozialen Netzwerke. Menschen kippen sich Eimer mit eiskaltem Wasser über den Kopf, lassen sich dabei filmen und wollen mit diesen Videos auf eine tödliche Krankheit aufmerksam machen: Amyothrophe Lateralsklerose, kurz ALS. In den Videos nominieren die Teilnehmer drei weitere Personen, es ihnen entweder gleich zu tun oder Geld an eine ALS-Organisation zu spenden.
ALS ist eine neuromuskuläre Erkrankung, die weltweit extrem selten vorkommt und innerhalb weniger Jahre tödlich verläuft. Die Eiskübel-Aktion soll nicht nur ein Bewusstsein für die seltene Krankheit schaffen, sondern auch Spenden für die Forschung sammeln. Denn bisher gibt es keine Heilung für ALS.
Aufmerksamkeit auf allen Kanälen
Die Ice Bucket Challenge hat von Beginn an von ihren prominenten Teilnehmern und deren Reichweite profitiert: Erst von US-amerikanischen Profi-Sportlern, dann von Schauspielern wie Charly Sheen, Musikern wie Taylor Swift oder Netzgrößen wie Twitter-Chef Dick Costolo und Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Spätestens mit dessen Video und der Nominierung von Microsoft-Gründer und Philantrop Bill Gates erreicht die Aktion den Höhepunkt.
Gegen Ende August 2014 ist kaum ein Entkommen vor der Aktion. Die klassischen Medien berichten, die sozialen Netzwerke sind gefüllt mit den Eiskübel-Videos von Bekannten, Freunden und Prominenten. Entweder wurde man selbst bereits nominiert oder hat sich schon eiskaltes Wasser über den Kopf gegossen.
Alles nur alberner Slacktivismus?
Wegen ihrer Allgegenwärtigkeit wächst die Kritik an der Aktion, auch weil in einigen Videos weder der eigentliche Anlass genannt noch für den guten Zweck gespendet wird. Bezeichnend für den Selbstdarstellungswahn im Netz, finden die Kritiker und sehen die ALS Ice Bucket Challenge als klares Beispiel für Wohlfühl-Aktivismus, für Slacktivismus: Die Videos zeigen nach außen zwar selbstloses Engagement, seien aber nichts weiter als alberne Inszenierung und digitaler Kettenbrief.
Zwölf Monate später: Der Befreiungsschlag
Ein Jahr nach dem Hype bemühen sich 2015 die ALS-Organisationen weltweit, das Momentum des Ice Bucket Challenge nicht vollkommen verpuffen zu lassen. Die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke hat versucht, die Eiskübel deutscher Prominenter zu versteigern – ohne Erfolg.
Es scheint, dass mit dem Hype auch die Spendenbereitschaft und Aufmerksamkeit wieder verflogen sind. Unter dem Hashtag #EveryAugustUntilACure will die amerikanische ALS-Organisation die Aktion wiederholen, bis eine Heilung für die Nervenkrankheit gefunden ist.
#ALSIceBucketChallenge is BACK! Who will you challenge? #EveryAugustUntilACure pic.twitter.com/0d72X67Vtb
— The ALS Association (@alsassociation) 6. August 2015
Dann die Sensationsmeldung im August 2015: Nach zehn Jahren der Forschung haben Wissenschaftler vom Johns Hopkins Institut in Baltimore neue Erkenntnisse zur ALS-Krankheit. Das Protein TDP-43 spielt eine entscheidende Rolle bei der Erkrankung und könnte ein Lösungsansatz sein, um die tödliche Krankheit zu verlangsamen oder gar aufzuhalten.
Die Ice Bucket Challenge nennen die Forscher als mitverantwortlich für die Forschungsergebnisse. Die Spendengelder haben für finanzielle Stabilität gesorgt und somit die Forschung erleichtert wie beschleunigt. Es ist ein kleiner Erfolg – für die ALS-Forschung und den Slacktivismus.
Wie ist die ALS Ice Bucket Challenge so erfolgreich geworden und was hat sie erreicht? Sandro Schroeder hat sich das Netzphänomen angeschaut und mit Horst Ganter, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke sowie Dirk von Gehlen, Leiter Social Media bei der Süddeutschen Zeitung, darüber gesprochen.
Die ALS Ice Bucket Challenge ist der zweite Teil unserer fünfteiligen Serie über virale Online-Kampagnen. In den beiden kommenden Beiträgen geht es um die Equality-Profilbilder 2013 und die Regenbogen-Profilbilder 2015 auf Facebook. Im letzten Beitrag setzen wir uns damit auseinander, ob solche Kampagnen nur „Wohlfühl-Aktivismus“ sind oder tatsächlich die Welt per Mausklick verändern.
Im nächsten Beitrag der Serie widmen wir uns dann den roten Equality-Profilbildern auf Facebook im Jahr 2013.
Redaktion: Sandro Schroeder