Zweitausend Jahre lang wussten Katholiken, was richtig und was falsch ist. Das, was der Vatikan sagt. Nun können die Gläubigen antworten. Denn der Vatikan hat erstmals seine Schäfchen zu deren Lebenswirklichkeit befragt. Die Ergebnisse sind aus vatikanischer Sicht mehr als ernüchternd. Die Gläubigen haben Sex vor der Ehe, lassen sich scheiden, bekommen uneheliche Kinder und akzeptieren homosexuelle Partnerschaften. Im Vatikan hinterlässt das vor allem: viele große Fragezeichen.
Im Vatikan ticken die Uhren anders, egal wer Papst ist
Seit seiner Wahl ist Papst Franzikus weltweit ein Liebling der Massenmedien. Obwohl sich der Markenkern der katholischen Kirche seit dem Papstwechsel Anfang 2013 nicht im Geringsten verändert hat, gelang es Franziskus, die Kirche öffentlichkeitswirksam als geläutert zu präsentieren. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Papst an seine Idee der armen Kirche glaubt und es ernst meint mit einer Reform der Sexualmoral, bleibt die Frage, welche Mitstreiter er im Vatikan hat.
Wollen die Gläubigen einen Katholizismus light?
Dass eine uralte Institution wie der Vatikan, nicht auf kurzfristige gesellschaftliche Veränderungen reagiert, ist wenig überraschend. Darüber hinaus befürchten viele, die Kirche verliere ihren Markenkern, wenn sie auf die Ächtung von Abtreibung, Scheidung und Homosexualität verzichtet.
Papst Franziskus und seine Kardinäle sind in einer Zwickmühle. In den Industrieländern treten immer mehr Menschen aus der Kirche aus und in den Entwicklungsländern gewinnen ultrakonservative Evangelikale stetig an Bedeutung. Ein Spagat zwischen Berlin-Mitte und der brasilianischen Provinz wird der Kirche auf Dauer nicht gelingen.
Ob sich der Vatikan überhaupt für eine Neuordnung seiner Lehre entscheiden kann und was das für die verschiedenen Kirchenflügel heißt, haben wir mit dem Vatikan-Experten Marco Politi diskutiert. Er hat kürzlich das Buch: „Franziskus. Papst unter Wölfen“ veröffentlicht. Darin schreibt er über die Demokratisierungsversuche von Papst Franziskus und den Widerstand innerhalb der Kirche.