Die Angst des Kommentators vor dem Shitstorm
48 von 51 EM-Spielen sind bislang gespielt worden. Heute Abend starten nun die Halbfinalspiele. Seit dem Turnierstart sind hunderte Stunden mit Vor- und Nachberichten, Fan- und Feldinterviews, Talkrunden und Sportschul-Specials gefüllt worden. Und viele Beobachter sind mit der Qualität der EM-Berichterstattung alles andere als zufrieden.
Die größte Kritik prasselt – wie so häufig im Fussball – auf die Kommentatoren ein. Allein ARD-Mann Steffen Simon löst regelmäßig Bestürzungswellen im Netz aus, sobald er bei einem Spiel eingesetzt wird. Das Simon-Bashing hat bereits während der Fussball-WM 2014 begonnen.
Wenn Steffen Simon sagt ‚das ist völliger Wahnsinn‘, dann weiß man als Zuschauer schon, es ist nichts Spannendes passiert. – Jürn Kruse, Leiter des Medienressorts der taz
EM-Berichterstattung: Feldinterviews aus der Hölle
Flächendeckend grässlich sind derweil die Interviews direkt nach dem Spiel. „Beschreiben Sie mal die Szene“ lassen die meisten Zuschauer nach jahrelangen Plattitüden-Talks am Spielfeldrand schon schulterzuckend über sich ergehen. Aber wenn der Reporter wissen will, ob man das erreichte Halbfinale auch gewinnen will, wird es selbst den Profis zu blöd.
Den Vogel abgeschossen hat aber der langjährige ARD-Sportreporter Jürgen Bergener, der Nationaltorwart Manuel Neuer nach dem Viertelfinale gegen Italien „im Namen der ganzen ARD“ einen Dank für das tolle Spiel ausrichtete. Die Mischung aus Anbiederung und Trivialität erschreckt selbst hartgesottene Fußball-Nerds.
Politik verschwindet aus der Wahrnehmung
Aber auch der Rest der Medienlandschaft lässt sich von Fußballturnier alle zwei Jahre in einer besonderen Zustand äußerer Extase versetzen, die vier Wochen lang alles überstrahlt. So verdrängen Müller und Özil jedes andere Thema zumindest vom Titel.
Der Politik wird alle zwei Jahre vorgeworfen, diese Aufmerksamkeit für den Fußball auszunutzen. Die Kritik: Der Bundestag winke regelmäßig umstrittene Gesetze während Fußballturnieren durch. Gegen diese These gibt es jedoch auch berechtigte Zweifel.
Am dreistesten war es, als während der WM 2006 im eigenen Land direkt während des Turniers die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent erhöht wurde. – Jürn Kruse, taz
Was die Medien über die eigene Arbeit lernen können und welch absurdes Level manche Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen erreicht hat, darüber hat detektor.fm-Moderator Alexander Hertel mit Jürn Kruse gesprochen. Er leitet das Medienressort der Tageszeitung.