Rätsel um NSU-Opfer
Im Juni 2004 explodiert vor einem Friseurgeschäft in Köln eine Bombe des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Dabei werden 22 Menschen verletzt. Neun Jahre später beginnt in München der NSU-Prozess. 60 Anwälte vertreten die Nebenkläger in dem Verfahren, einer von ihnen ist Ralph W. Er vertritt ein NSU-Opfer, das bei dem Nagelbombenanschlag verletzt wurde. Doch nach zwei Jahren stellt sich heraus: Seine Mandantin existiert gar nicht.
Wer hat betrogen?
Ans Licht gekommen ist der Fall erst nach 233 Verhandlungstagen. Obwohl das Gericht die angebliche Nebenklägerin mehrmals als Zeugin geladen hatte, ist sie dort niemals aufgetaucht. Deshalb ermittelt die Staatsanwaltschaft seit Oktober 2015 gegen Ralph W., den Anwalt der Mandantin. Dieser gibt an, mit der vermeintlichen Nebenklägerin nie direkten Kontakt gehabt zu haben. Wegen Sprachschwierigkeiten sei die ganze Kommunikation über einen weiteren Nebenkläger, Atilla Ö., abgelaufen.
Diese Kommunikation hätte er aber gar nicht haben dürfen, jedenfalls nicht, ohne eine ausdrückliche Schweigepflichtsentbindung seiner Mandantin einzuholen. Und da hätte es ihm auffallen müssen, dass es diese Mandantin nicht gibt. – Achim Doerfer, Rechtsanwalt
Rechnung an den Anwalt
Das ist aber nicht die einzige Merkwürdigkeit in diesem Fall. Der Kontaktmann und Nebenkläger Atilla Ö. ist kürzlich verstorben. Das erschwert die Frage, wer für den Betrug verantwortlich ist. Die 200.000 Euro Sitzungsgebühren, die Ralph W. in Form von Reisekosten und Vorschüssen bereits erhalten hat, muss er deshalb nun zurückzahlen. Aber selbst wenn der Anwalt von nichts gewusst hat, hat er unsauber gearbeitet.
Zu einer sorgfältigen Mandatsbearbeitung gehört natürlich, dass ich auch den persönlichen Kontakt suche. Ich kann ja keine Nebenklägerin vertreten, wenn ich nicht weiß, was in ihr vorgeht, was sie gegebenenfalls erlitten hat. – Achim Doerfer
Wie kann es sein, dass ein Anwalt im NSU-Prozess ein Opfer vertreten hat, das es gar nicht gibt? Darüber hat detektor.fm-Moderator Christian Eichler mit dem Rechtsanwalt Achim Doerfer gesprochen.
Redaktion: Laura Almanza