Die Idee ist ihr gekommen, als sie gerade ein Thema für ihre Bachelor-Arbeit gesucht hat. Die Mode-Studentin Sema Gedik wollte sich mit etwas beschäftigen, von dem sie überhaupt keine Ahnung hatte. Da kam ihr ihre kleinwüchsige Cousine Funda in den Sinn. Die hatte mal erzählt, dass es für sie immer schwer sei, passende Kleidung zu finden.
Funda ist damit nicht allein. Denn es gibt in Deutschland kein Modelabel, das Kleidung für Kleinwüchsige produziert. Das bedeutet, dass Kleinwüchsige sich ihre Kleider bei einem Schneider anfertigen oder umnähen lassen müssen. Auch die Kleidung aus der Kinderabteilung kommt nicht infrage, denn die ist zwar kleiner, aber eben nicht an die Maße von Kleinwüchsigen angepasst. Außerdem: Welcher Erwachsene möchte schon Kindersachen anziehen?
Apropos Maße: Einheitliche Konfektionsgrößen gibt es für Kleinwüchsige auch nicht und so musste Sema Gedik erst einmal Menschen vermessen. Viele Menschen. In Deutschland, in der Türkei und in Chile. Wenn sie 1.000 zusammenhat, will Sema aus all ihren Maßen eine Konfektionsgrößentabelle erstellen. Und dann kann sie ihre Designs endlich in Serie produzieren: mit ihrem Label „Auf Augenhöhe“.
Für diese Arbeit ist „Auf Augenhöhe“ mit dem Titel „Kultur- und Kreativpiloten“ des Bundeswirtschaftsministeriums ausgezeichnet worden. Und darum stellen wir es in unserer Serie „Machen statt Quatschen“ vor.
„Auf Augenhöhe“ gehört zu den Kultur- und Kreativpiloten des Bundeswirtschaftsministeriums. Ab dem 15. Mai 2017 kann man sich bis zum 30.6.2017 für die nächste Runde bewerben.
Der Beitrag zum Mitlesen
Das Modelabel „Auf Augenhöhe“ residiert nicht in Paris, London oder New York, sondern in einem WG-Zimmer in Berlin-Neukölln. Sema Gedik schläft und arbeitet im selben Raum und träumt von einer modischen Kollektion für Kleinwüchsige. Ich bin mit Sema und Model Nici an einem sonnigen Frühlingsmorgen verabredet. Nici und ich betreten gemeinsam das Zimmer. Während ich mich noch über die Frühlingssonne freue, stürmt Model Nici zum Kleiderständer. Ihr hat es ein Pullover angetan:
An diesem Pullover fasziniert mich, dass er aus einem sehr dünnen Stoff ist, weil wir sehr viel schwitzen und da ist ein Pullover mit einem dünnen Stoff schonmal sehr ideal. Und wenn man ihn sieht, dann sieht man, dass er zu meinem Körper passt: Die Ärmel sind kürzer. Man erkennt sozusagen seinen Körper darin wieder und man sieht schon, dass es nicht zu weit ist oder so.
Laut Model Nici finden Kleinwüchsige auch in den gängigen Kleidungsgeschäften Sachen, aber die passen halt so gut wie nie. Ihr Problem sind die unterschiedlichen Proportionen:
Wir haben halt verkürzte Arme und verkürzte Beine, haben ein Hohlkreuz. Durch die verkürzten Arme sind natürlich die Ärmel zu lang und was glaube ich letztes Jahr so richtig im Trend war, waren ja diese Aufnäher an den Ellenbogen. Die hingen bei uns natürlich immer irgendwo anders. Die habe ich einfach nicht gekauft, weil es einfach nicht gut aussah. Durch das Hohlkreuz stehen unsere Hosen hinten immer so ein Stück ab, dann brauchte man hinten einen Abnäher. Die Beine waren immer zu lang, dann hat man die gekürzt, aber dann waren sie noch sozusagen zu weit. Dann hatte man so eine kleine Schlaghose, weil unsere Knöchel dann nicht da sind, wo die Knöchel von anderen Damen sind.
Die Modestudentin Sema Gedik entwirft genau deshalb Kleidung für Kleinwüchsige. An ihrem Label „Auf Augenhöhe“ arbeitet sie schon ein paar Jahre, jetzt soll es aber bald mit dem regulären Verkauf losgehen. Die Idee zu diesem Projekt ist ihr aber nicht im Seminar an der Universität oder am Rande der Fashion Week gekommen, sondern im Gespräch mit ihrer Familie:
Ursprünglich kam die Idee über meine kleinwüchsige Cousine Fonda. Und in meiner Bachelorarbeit wollte ich mich mit einem Thema befassen, mit dem ich mich vorher noch nie auseinandergesetzt habe. Ich wusste zuerst auch gar nicht, mit welchem Thema ich mich befassen möchte und als ich darüber nachgedacht und viel mit meiner Familie darüber geredet habe, kam halt die Idee, dass wir doch von Fonda wissen, dass sie oft Probleme hat, und warum ich denn nicht, wenn ich schon dieses Studium angegangen bin, mich mal mit dieser Thematik auseinandersetze. Und so fing das dann eigentlich an.
Seitdem wundert sich Sema Gedik darüber, dass es für Kleinwüchsige keine einheitlichen Konfektionsgrößen gibt, baut Kontakte zu Herstellern und zum Bundesverband Kleinwüchsiger Menschen auf und sucht und findet Modelle für ihre Kleidung. Nici, mit der wir in Semas WG-Zimmer zu Gast sind, ist eines dieser „Models“, dabei sieht sie sich gar nicht als Model, sondern eher als Unterstützerin der Idee:
Ich finde das Projekt eine mega-gute Idee. Ich finde es wichtig, dass es umgesetzt wird, und will Sema sozusagen helfen, dass umzusetzen, und klar, mir macht das halt auch Spaß und irgendwie ist man auch stolz auf dieses Projekt und Teil davon zu sein. Aber ich sehe mich jetzt nicht als klassisches Model. Also, das war auch letztens ganz witzig beim Klassentreffen. Wir hatten Klassentreffen nach fünf Jahren, und dann wurde so gefragt, wer macht was, und dann hieß es auf einmal: ‚Und Nici, du, du bist jetzt Model, ne?‘ Und ich war so: ‚Nee, ich bin nicht Model.‘ Alle verbinden damit, dass man auf Laufstegen ist, Fotoshootings macht, Interviews macht, wird man als Model verglichen, aber ich fühle mich einfach nicht als Model.
Nici bewundert es, dass sich Labelmacherin Sema bisher auch innerhalb der Community der Kleinwüchsigen gegen alle Widerstände durchgesetzt hat. Denn es gibt durchaus Kritik. Manche bemängeln, dass sie selbst nicht kleinwüchsig ist, und werfen ihr vor, sich mit dem Label „Auf Augenhöhe“ zu profilieren. Sema bleibt gelassen und liebt ihre Arbeit:
Am Anfang musste ich auch erst mal lernen, so etwas wie Kontakt aufzubauen. Wisst ihr noch? Da war ich richtig schlecht drin. Weil ich die letzten vier Jahre im Studium immer nur mit mir beschäftigt war. Und diesmal ist einfach so: Okay, ich muss lernen, mich immer wieder mit diesen Menschen zu treffen. Nicht nur wegen des Themas. Auch für mich selbst lernen, das sind ja kleine Social-skills und nicht nur wegen des Themas, sondern auch weil ich sie mag. Aber sonst hätte ich mich mit denen einmal am Wochenende getroffen. In dem Fall geht es ja um etwas anderes, man entwickelt ja gemeinsam etwas, im Team.
In diesem Team haben sie aktuell einen gemeinsamen großen Traum. Nici erklärt diesen Traum:
Ein Riesentraum, natürlich ist der Weg noch weit, ist, dass man eine ‚Auf Augenhöhe‘-Kollektion in normalen Läden findet. Das man die jetzt nicht unbedingt im Onlineshop bestellen muss, sondern einfach, dass es die in Läden zu finden gibt. Was auch wiederum ein Zeichen von dieser Inklusion ist. Alle können in dem gleichen Laden einkaufen gehen und keiner muss abgesondert im Onlineshop einkaufen gehen. Ich glaube, dadurch wird auch mehreren Leuten bewusst, dass es gar nicht so einfach ist für alle Leute, Kleidung zu finden.
An diesem Traum arbeitet auch Labelgründerin Sema. Sie ist davon überzeugt, dass wir das erleben werden. Auch wenn manche sie belächeln, sie lässt sich nicht beirren.
Vielleicht habe ich ja auch eine Macke, keine Ahnung. Trotzdem kann man ja alles dafür tun und geben und probieren. Man muss ja ausprobieren irgendwie. Bevor man nicht ausprobiert, weiß man doch sowieso nicht, ob es klappt oder nicht. Und dann kann ich trotzdem eine Macke haben, werde ich dann wahrscheinlich sowieso haben, auch wenn es nicht klappt. Auch wenn es klappt, keine Ahnung.
Ihre Ziele für dieses Jahr sind auf jeden Fall ambitioniert. Nachdem sie bei den Kleidungsstücken für Männer einmal durch ist, will sie sich nun vor allem den Frauen widmen. Beim Treffen des Bundesverbandes Kleinwüchsiger Menschen testet sie dann ihre Prototypen mit den Menschen vor Ort. Außerdem träumt sie von einem richtigen Arbeitsplatz und einem gemeinsamen Ort für Besprechungen und Treffen. Schließlich sollen die Sachen noch in diesem Jahr in einem Onlineshop zu einem fairen Preis angeboten werden.