Von ihrer sanierten Altbauwohnung im Prenzlauer Berg ist es heute für Carola Kaplan nicht weit bis zu den Berliner Stätten der friedlichen Revolution. Gethsemanekirche, Bornholmer Straße und Mauerpark erinnern noch heute an die Geschehnisse des Herbst 1989. Doch zu dieser Zeit lebt Carola Kaplan noch in ihrer Heimatstadt – in Leipzig. Sie ist 19 Jahre alt, hat gerade die Schule abgeschlossen und lebt noch bei ihren Eltern. Über eine Freundin aus der Berufsschule kommt sie ins Umfeld der Nikolaikirche. Was hat Carola Kaplan damals motiviert?
Der Wille etwas ausdrücken zu wollen, nämlich Unwillen und sicherlich auch etwas dagegen zu tun. Im Prinzip war das eine sehr willkommene Möglichkeit sich zusammen mit anderen zu äußern.
Carola Kaplan heißt 1989 noch Bornschlegel und sie stört in der DDR vor allem die Uniformität. Sie wollte nicht Mitglied der FDJ oder der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft sein. „Man hat ja dann in der Realität auch gesehen, wie es wirklich ist. Wie die Leute wirklich leben und dass das, was einem vermittelt wurde, auch von ideologischer Seite her, überhaupt nichts mit der Realität zu tun hatte. Und das der Mensch an sich keine Rolle gespielt hat, dass man einfach diesen Machtapparat, wenn man sich nicht gewehrt hat oder nicht die Bekannten hatte oder einfach mal gesagt hat, ich bin jetzt bockig und stell mich auf die Hinterbeine sehr wenig bewegen konnte oder gar nichts. Also, diese Negation von individuellen Ansprüchen, dass hat mich schon immer geärgert.“ Carola Kaplan ist deshalb zusammen mit anderen aktiv. Sie verteilt Flugblätter, diskutiert in Arbeitsgruppen oder demonstriert. So auch am 4. September 1989, dem Messemontag, die Demonstration steht unter dem Motto „für offene Grenzen, Versammlungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit“. Mit der Aktion sollen vor allem die westlichen Medien angesprochen werden:
Natürlich macht man bestimmte Sachen bewusst. In dem man Transparente hochhält, die dann nicht nur von der Leipziger Bevölkerung gesehen werden, sondern bundesweit. Natürlich nutzt man dieses Medium, man wäre ja dumm, wenn man es nicht gemacht hätte.
Der Staat schlägt dann eine Woche danach zu. Auch Carola Kaplan wird verhaftet. Nach vier Wochen kommt sie wieder frei und aus der kleinen Protestgruppe ist längst eine Massenbewegung geworden. Zehntausende ziehen im Oktober 1989 über den Leipziger Ring. Als Vorbild oder gar Wegbereiterin will Carola Kaplan jedoch nicht gelten: „Man war einfach Teil dieser Bewegung, man hat mitgemacht, man hat Aufgaben übernommen. Und ich denke, um so eine Bewegung zum Funktionieren zu bringen, braucht es sehr viele Leute, die mitmachen, wie in so einem Ameisenhaufen. Oder ein kleines Rädchen im Getriebe oder was auch immer. Ich würde mich mal nicht so wichtig nehmen. Es war einfach wichtig, dass was gemacht worden ist, auch für mich.“
Gleich nach der politischen Wende kämpft Carola Kaplan als Abgeordnete in Espenhain, südlich von Leipzig, mit den Mühlen der Politik. Doch sie hat nicht das Gefühl, dass sich etwas bewegt. Heute engagiert sie sich nicht mehr parteipolitisch. Ihr Thema ist jetzt die Musikschule ihrer Tochter. Dort sollen gerade alle Lehrer entlassen werden. Erst neulich hat Carola Kaplan deshalb zusammen mit anderen in Pankow eine Demo organisiert. Aus kamen rund 800 Leute.