Udo Hartmann raucht auf seiner Couch eine Zigarette, den Kater Max im Arm und seine Fotoalben in der Hand. Er, den sie Theo nennen, ist schon immer gern verreist. Trampen – das war seine Leidenschaft und deshalb hat ihn in der DDR die fehlende Reisefreiheit gestört, aber nicht nur das:
Vieles, was propagiert war und was im wirklichen Leben war ist sehr weit auseinander gedriftet. Wie haben wir immer gesagt: Bleibe im Lande und wehre dich täglich.
1989 will er nicht ausreisen, die DDR ist für ihn Heimat. Einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz – das will er. Und er will reisen. Deshalb trägt er am 4.September vor 20 Jahren das Plakat mit der Aufschrift „Gegen den Strom – Freies Reisen für alle“. Am 4. September vor den Augen der Weltöffentlichkeit hält sich der Staatsapparat zurück. Den Demonstranten werden die Plakate weggerissen, aber es wird niemand verhaftet.
Das war komisch. Als die mein Plakat runtergefetzt hatten, da hatte sich das Plakat um mein Handgelenk gewickelt. Sie haben mich aus den Massen gezogen, ich war ziemlich allein. Aber ich hab die gar nicht interessiert. Sie haben das Plakat um meine Hand abgewickelt und weg waren sie.
Dafür schlagen Stasi und Volkspolizei eine Woche später bei der nächsten Montagsdemonstration umso härter zu. Fast 100 Menschen werden verhaftet, auch Udo Hartmann. Vier Wochen lang sitzt er im Gefängnis. Die verbliebenen Demonstranten organisieren draußen Fürbittgottesdienste und am kommenden Montag sind es wieder etwas mehr Menschen vor der Nikolaikirche. Von den Entwicklungen der Montagsdemonstrationen bekommt er erst einmal nichts mit. Doch dann wird es an einem Montag merkwürdig ruhig im Gefängnis.
Auf einmal wurde es im Knast plötzlich ganz still und wir hörten die Sprechchöre von draußen. Da war natürlich in der U-Haft richtige Stimmung. Da wurde Gegen die Türen geklopft, gegen die Wände gehauen. Wir wussten, dass wenn wir das in der Beethovenstraße hören, da ne ganze Menge Leute sein müssen, die da lang marschieren.
Als Udo Hartmann dann aus der Untersuchungshaft entlassen wird, ist längst klar, was er am Montag macht: Er geht zur nächsten Montagsdemo. Aus den wenigen hundert Menschen sind längst zehntausende geworden. Die kleine Protestbewegung aus dem Nikolaikirchumfeld zu einer Massenbewegung. Die große Zahl an Menschen überfordert die Staatsmacht. Das Volk zwingt die Herrscher in die Knie. Die DDR besteht danach nicht mehr lange und Udo Hartmann in Griechenland am Mittelmeer.
Das war ein Gefühl von Freiheit. Das hätte ich mir vor einem Jahr nicht träumen lassen, dass man irgendwann mal am Mittelmeer steht.