Nazis: Aussteigen fällt schwer
Rund 21.000 Menschen sind derzeit in der rechtsextremistischen Szene aktiv, so schätzt es jedenfalls der Verfassungsschutz. Die, die sich mit der Ideologie identifizieren können, aber besipielsweise in keiner Partei oder Kameradschaft sind, fehlen in dieser Statistik. Genauso wie die rechtspopulistischen ‚HoGeSa‘- und Pegida- Anhänger und viele mehr. In diesen Wochen hat man den Eindruck, dass die Anhänger enthemmter sind als noch vor ein paar Jahren. Die extreme Gewaltbereitschaft des „braunen Mobs“ ist für viele erschreckend. Verletzte oder gar tote Menschen werden von vielen Nazis offenbar in Kauf genommen.
Eine neue Art der Gewalt
In diesem Jahr hat es bereits mehr als 500 Angriffe gegen Geflüchtete und Asylbewerberheime gegeben. Im gesamten letzten Jahr waren es 328. Besonders oft sind in Bayern und Baden-Württemberg Brandanschläge auf Unterkünfte verübt worden. In Nordrhein-Westfalen und Sachsen ist besonders oft gegen Unterkünfte demonstriert worden. Die meiste Gewalt mussten Geflüchtete in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Meckelnburg-Vorpommern erfahren. Als Grund für diesen Anstieg wird nicht nur die gestiegenen Zahl der Geflüchteten, die in Deutschland Asyl suchen, genannt, sondern auch der große Zulauf für Pegida und AfD. Rechtspopulistische Gedanken scheinen in einem Teil der Bevölkerung salonfähig geworden zu sein.
Dagegen scheint die Zahl derer, die in den letzten zehn Jahren aus der Szene ausgestiegen sind, enorm klein. Um die 600 sind es. Das aber täuscht. Denn jeder Ausstieg ist ein Erfolg und zeugt von enormen Mut des Einzelnen.
Schweres Loskommen
Kein Neonazi steigt mal eben so aus der Szene aus. Denn die Szene macht ihre Leute von ihr abhängig. Aussteiger sind in ihrer Ideologie „Verräterschweine“, die für den Verrat büßen müssen. Wer aussteigt, muss oftmals um sein Leben fürchten. Der Ausstieg muss geplant, gut durchdacht und organisiert werden. Vor allem braucht es Menschen, die dem Aussteiger zur Seite stehen.
Das ist oft ein Problem. Denn soziale Kontakte außerhalb der Szene haben Rechtsextreme und Nazis meist nicht. Sie brechen oft mit Familie und Freunden, wenn diese ihre Ideologie nicht teilen. In der Szene finden sie eine neue Familie. Kameradschaft ist besonders wichtig.
Für Neonazis, die ihren Ausstieg planen, gibt es Anlaufstellen und Organisationen, die sie bei organisatorischen Dingen und psychologisch begleiten. Neben den Angeboten der jeweiligen Landeskriminalämter und des Verfassungsschutzes gibt es auch nicht-staatliche Organisationen, die Ausstiegswilligen helfen.
Es sind sehr unterschiedliche Motive. Aber die meisten Leute, die wir langfristig begleiten, haben schon im Kern ein sehr klares eigenes Interesse ihre Lebenssituation und ihre Weltanschauung zu verändern. Und mit denen arbeiten wir dann mehrere Jahre daran. – Fabian Wichmann, EXIT-Deutschland.
Ein langer Weg
Ein Ausstieg dauert lang und muss gut überlegt und geplant sein. Am Anfang muss jede Beratungsstelle feststellen, ob der Ausstiegswillige die Szene wirklich verlassen möchte und wie sehr er in den Strukturen und Hierachien der Szene steckt.
Manch ein Aussteiger braucht eine neue Identität, weil sein Leben durch den Ausstieg in Gefahr ist. Manche müssen in Zeugenschutzprogramme. Soziale Kontakte aus der Zeit vor der Szene werden wieder aufgebaut und neue geschaffen.
Die Menschen bekommen oft eine politische Sozialisation. Sie brauchen eine neue Arbeit, manche holen Abschlüsse nach. Und die Vergangenheit unter Nazis muss aufgearbeitet werden. Ständige psychologische Unterstützung ist also wichtig. Auch äußerlich sieht man Aussteigern ihre Nazivergangenheit oft an. Tattoos entfernen zu lassen, ist teuer und aufwändig.
Über die aktuelle Situation in der rechten Szene und die Motive von Aussteigern hat detektor.fm-Moderatorin Astrid Wulf mit Fabian Wichmann von EXIT-Deutschland gesprochen. EXIT unterstützt Aussteiger aus der rechten Szene.
Redaktion: Sandro Schroeder, Maren Schubart