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Nach Bekanntwerden der Existenz des NSU hat ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes wissentlich belastendes Material vernichtet. Foto: reading between the lines CC-BY-ND-2.0 | Jason Tester Guerilla Future / flickr.com

NSU | Vernichtung von Akten verjährt

Die Spitze des Eisbergs

Ein Thüringer Verfassungsschützer hat 2011 wichtige Akten geschreddert. Die Akten enthielten Informationen zum Kontakt von V-Männern mit dem NSU. Das Problem: Der Mitarbeiter hat die Unterlagen absichtlich aus genau diesem Grund zerstört. Nun verjährt die Tat und die Staatsanwaltschaft sieht keinen Grund, gegen den Mann zu ermitteln.

Ein Referatsleiter des Thüringer Verfassungsschutzes hat nach Bekanntwerden des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) V-Mann-Akten geschreddert. Die Vernichtung der Akten ist kein Versehen gewesen. Die Unterlagen beinhalteten Informationen zum Kontakt zwischen V-Männern und den Mitgliedern des NSU. Der Mitarbeiter mit dem Decknamen Lothar Lingen hatte Sorge, dass die Aufdeckung der Akten unangenehme Fragen aufwerfen und noch unangenehmere Schlüsse zulassen würde: Dass der Verfassungsschutz über die terroristischen Aktivitäten hätte Bescheid wissen müssen.

Um dies zu vermeiden, hat er die Beweise am 11.11.2011 vernichtet. Dieses Vorgehen hat der Verfassungsschützer bei einer Befragung im Jahr 2013 zunächst mit einer fristgerechten Löschung von veralteten Unterlagen begründet. Reine Routine: Aus Kapazitätsmangel werden Akten, die als überaltert erachtet werden, vernichtet. Erst im September 2016 wird sein wahres Motiv bekannt.

Erfolglose Strafanzeige

Die Familie eines NSU-Opfers und ihre Anwälte haben daraufhin Strafanzeige gegen Lothar Lingen eingereicht. Die zuständige Staatsanwaltschaft Köln gibt nun allerdings bekannt, dass sie in dem Fall keine Ermittlungen aufnehmen wird. Somit verjährt die Tat des Verfassungsschützers, da sie mehr als fünf Jahre zurückliegt. Die Vernichtung von wichtigen Informationen und Quellen im NSU-Prozess bleibt somit ohne Konsequenzen.

Kein Pfusch, sondern „Bereinigung des Aktenbestandes“

Die Begründung der Staatsanwaltschaft Köln ist gleichzeitig schlüssig und bizarr. Sie stützt ihre Einschätzung auf zwei Ebenen: den Inhalt der Akten und den Vorgang der Vernichtung. Auf Anfrage von detektor.fm erklärt die Staatsanwaltschaft, die Inhalte der vernichteten Akten hätten durch einen Abgleich mit anderen Unterlagen zu einem hohen Grad rekonstruiert werden können. Dabei hätten die Inhalte keine Hinweise auf eine Beteiligung oder Verstrickung des Verfassungsschutzes geliefert.

Des Weiteren spreche das Verhalten des Referatsleiters gegen den Versuch der Vertuschung: Der Mitarbeiter mit dem Decknamen Lothar Lingen soll die Akten nicht geheimerweise vernichtet haben. Es heisst, er sei mit den Akten über den Flur gelaufen und habe die Vernichtung in Gegenwart der gesamten Abteilung angeordnet. Die Staatsanwaltschaft schließt aus der Kombination des Inhalts der Akten und der Vorgehensweise, dass es sich nicht um eine versuchte Vertuschung von Beweismaterial handelt. Das zuvor abgelegte Geständnis ändere daran nichts.

NSU: Wenn die Ausnahme zur Regel wird

Der Verlust von Akten im Zusammenhang mit dem NSU-Prozess ist keine Neuigkeit. Während des Prozesses wurden mehrere Fälle von Aktenvernichtung oder -verlust bekannt. Warum es in diesem Fall ohne Konsequenzen bleibt und wie die Aktion im Prozessgeschehen einzuordnen ist, erklärt Wolf Wetzel. Er hat den Prozess über fünf Jahre begleitet und spricht mit detektor.fm-Moderator Kais Harrabi.

Verjährt die Vernichtung von NSU-Akten ohne Konsequenzen? 02:52

Redaktion: Joachim Plingen

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