Die große Freiheit – und ihre Grenzen
Festivals und Parties beruhen auf einer bemerkenswerten Paradoxie: Sie versprechen einerseits eine gelassene Grenzenlosigkeit, die Abwechslung von der gesellschaftliche Normalität verheißt. Da wird wild getanzt, über den Durst getrunken oder mit Farbbeuteln geworfen – die Extase als Befreier von alltäglichen Hemmungen und Zwängen.
Es gibt auf jeden Fall zweierlei Maß, das ist schade. Ich hab nicht das Selbstbewusstsein, um zu sagen: Ist mir egal, ungeachtet jeglicher Körpernormen und Geschlechterdifferenze, mich einfach meiner Kleidung zu entledigen. Das haut nicht hin bislang. – Sookee, Rapperin
Andererseits aber bestehen individuelle Grenzen und das Bedürfnis nach deren Wahrung fort. Nicht erst Berichte über sexuelle Übergriffe auf Festivals machen das deutlich. Auch im Kleinen kann die kollektive Hemmungslosigkeit bereits als bedrängend empfunden werden. Etwa, wenn schweißnasse Männer auf engen Tanzflächen ihre Shirts abstreifen.
Der Streit um den richtigen Weg
Doch selbst wenn sich auf der Party der Wahl keine typischen Macker herumtreiben: Männer genießen in ihrer Oberkörperfreiheit ein gesellschaftliches Privileg. Denn nicht nur Gesetze verwehren Frauen ein unverkrampftes Oben-Ohne-Sein. Es wird gesellschaftlich einfach noch nicht als normal angesehen, wenn sich Frauen sich oben ohne zeigen – den Strandbesuch mal ausgenommen. Selbst auf progressiven Veranstaltungen sorgt das dafür, dass Frauen ihre Shirts lieber anbehalten.
Man verhindert den männlichen Blick, indem man seinen Körper halt versteckt, anstatt, dass man vehement Akzeptanz einfordert. – Alexander Koenitz, Medienwissenschaftler
Immer mehr Partygänger, aber auch -veranstalter, wollen sich damit nicht mehr zufrieden geben. Sie fordern Schutz mehr Gleichberechtigung auf dem Dancefloor. Zugleich aber soll die liberale Zwanglosigkeit der Feierkultur nicht unter die Räder geraten. Wie kann das gelingen? detektor.fm-Redakteur Johannes Schmidt ist dem Streit um die Oberkörperfreiheit nachgegangen.