Was ist von Dauer?
Marcel Reich-Ranicki hat es nicht „kulturelles Gedächtnis“ genannt – wollte mit seinem Kanon aber genau das: seine Literaturauswahl ins kulturellen Gedächtnis einbringen.
Das kulturelle Gedächtnis ist ein Begriff, der auf die Professorin Aleida Assmann und den Professor Jan Assmann zurückgeht. Diese beschäftigten sich Ende der 80er Jahre mit dem Begriff der Tradition. Doch da hat ihnen etwas gefehlt:
Kulturelles Gedächtnis arbeitet
Erinnern und Vergessen als Prozesse innerhalb der Gesellschaft: Damit stehen die Traditionen unserer Gesellschaft nicht auf einem großen stabilen Sockel, sondern sind ein Momentrückblick der aktuellen Gesellschaft.
Der Verlag Das kulturelles Gedächtnis will Teil dieser Auseinandersetzung sein. Mitgründer Tobias Roth möchte sein Unternehmen als historischen Gebrauchsverlag verstanden wissen.
Und so findet sich dort ein Reisebericht von einem Herrn Mittelberg, der als Wirtschaftsflüchtling von Deutschland über den Atlantik nach Amerika flieht – quasi im Wortlaut aktueller Erfahrungen, nur auf einem anderen Meer.
Was ändert die Digitalisierung?
Die Fluchterfahrungen heute hingegen landen nicht in einem Buch. Sondern auf Facebook. Hätte ein Tobias Roth in 100 Jahren überhaupt die Möglichkeit, Erfahrungsberichte aus der heutigen Zeit zu finden? Also die Frage: Archiviert jemand das Internet?
Auf archive.org ist es möglich, sich Websites zu einem früheren Zeitpunkt anzeigen zu lassen. In der Wayback-Machine findet sich auch die detektor.fm-Seite vor zum Beispiel 10 Jahren:
Die Digitalisierung macht vieles einfacher und schneller zugänglich. Aber nur, wenn wir genau wissen, was wir suchen. Und wir überlassen das Finden Suchmaschinen-Algorithmen. Denn wir Menschen können selbstständig eigentlich gar nichts finden, was im Prinzip aus Einsen und Nullen besteht.
Das digitale Gedächtnis?
Aleida Assmann sieht deshalb die Gefahr, dass wir uns dadurch unser Gedächtnis von Algorithmen bestimmen lassen. Es ist nicht mehr das ist präsent, was für uns Menschen besonders emotional, wichtig, bedeutungsvoll ist, sondern das, was die Algorithmen uns sagen, das wichtig ist.
Aber ob wir in 100 Jahren überhaupt noch auf unsere angesammelten digitalen Daten zugreifen können – Stichwort: Floppy-Disc – das ist die andere Frage. Dazu spricht detektor.fm-Moderator Nico van Capelle mit Jürgen Kuri von heise online. Außerdem fragt er Aleida Assmann, Tobias Roth und Brewster Kahle, was wir in 100 Jahren noch von heute wissen.