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Bild: Everett Collection | Shutterstock

Zurück zum Thema | Queerness

Wie queer war das Kaiserreich?

Queerness — eine Mode-Erscheinung? Tatsächlich geht die queere Geschichte in Deutschland weit zurück. Eine erste popwissenschaftliche Historie hat Benno Gammerl mit „Queer — eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute“ veröffentlicht.

Queerness im Kaiserreich

Im Kaiserreich sind nach und nach prüde Sexual- und Geschlechternormen neu verhandelt worden. Diese Entwicklung ist eng mit sozialen Fragen zu dieser Zeit verknüpft gewesen: Armut, sexuelle Krankheiten und Prostitution sind die Folgen von schlechten Lebens- und Wohnbedingungen gewesen. Diese sozialen Probleme haben damals dazu geführt, dass Themen wie Geburtenkontrolle, Verhütung, Geschlechtskrankheiten oder Abtreibung mehr und mehr diskutiert worden sind. Dadurch sind auch Sexualität öffentlich stärker thematisiert und die Debatte um Queerness angestoßen worden. Dass queere Themen aus wissenschaftlicher Perspektive behandelt worden sind, hat auch daran gelegen, dass die Kirche teilweise ihre Deutungshoheit über Menschen und deren Sexualität verloren hatte.

Das gängige Bild vom Kaiserreich als diesen unterdrückerischen, militaristischen, konservativen Staat, das ist nicht falsch, aber ich glaube, man muss es ergänzen mit dieser queeren Perspektive. Da kommen dann auch noch mal andere Dimensionen rein.

Benno Gammerl, Professor für die Geschichte von Gender und Sexualität am European University Institute Florenz

Benno Gammerl, Professor für die Geschichte von Gender und Sexualität am European University Institute FlorenzFoto: F. K. Schulz.

Hirschfelds Theorie

1887 ist in Berlin zum Beispiel das Wissenschaftlich-Humanitäre Komitee für die Legalisierung männlicher Homosexualität gegründet worden. Dadurch ist das Thema Homosexualität immer wichtiger im Bereich der Sexualwissenschaften geworden. Das Komitee ist aus homosexuellen Männern zusammengesetzt gewesen, die Lobbyarbeit gegen die Kriminalisierung männlicher Homosexualität betrieben haben. Sie haben sich damals vor allem gegen den Paragrafen 175 gestellt. Der ist im Deutschen Kaiserreich 1871 eingeführt worden und hat „widernatürliche Unzucht“ zwischen Männern unter Strafe gestellt. Während das Gesetz sexuelle Beziehungen zwischen Männern bestraft hat, sind Frauen in homosexuellen Beziehungen darin nicht genannt worden. Das Komitee hat auch die Forschung von Magnus Hirschfeld unterstützt. Er hat die Theorie der sexuellen Zwischenstufen aufgestellt. Die Idee:  Homosexualität ist angeboren. Damit könne dem einzelnen Homosexuellen keine Schuld für sein sexuelles Handeln gegeben werden. Das ist eine wichtige Grundlage der Forderung gewesen, männliche Homosexualität zu legalisieren.

Wie queer ist das Kaiserreich tatsächlich gewesen? Und wie beeinflussen die Ereignisse im Kaiserreich uns bis heute? Darüber spricht detektor.fm-Moderator Lars Feyen mit Benno Gammerl. Er ist Professor für die Geschichte von Gender und Sexualität am European University Institute in Florenz und hat das Buch „Queer — eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute“ geschrieben.

Diese Folge ist der erste Teil unserer Themenwoche im Rahmen des Pride Month bei „Zurück zum Thema“. Wir sprechen in dieser Woche unter anderem über Asexualität, das Selbstbestimmungsrecht und darüber, woran wir Rainbow Washing erkennen.

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