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Amsterdamer Suchtprojekt: Bier als Lohn

In Amsterdam gibt es seit Kurzem ein Programm für Alkoholiker. Darin werden Suchtkranke für einen Teilzeitjob mit Bier, Tabak und zehn Euro entlohnt. Hinter der befremdlich wirkenden Methode verbirgt sich jedoch ein durchaus etablierter Ansatz.

Falk Weiß - sieht bei dem niederländischen Projekt ein paar Probleme.

sieht bei dem niederländischen Projekt ein paar Probleme.
Falk Weiß

  Mit dem Programm „The Sweeping Cleaning Group of the Eastern Park in Amsterdam“ sollen Alkoholiker eine besondere Chance der Resozialisierung bekommen. Für ihre Arbeit in einem Park bekommen sie neben Geld auch Tabak und Bier. Die Idee kommt von der niederländischen „Stiftung Regenbogen„.

Doch so löblich diese Pläne auch sind, die Methode Alkoholkranke mit Bier zu bezahlen, kommt in der Öffentlichkeit nicht immer gut an. Was genau hinter dieser Idee steckt, haben wir uns im Gespräch mit Regenbogen-Stiftungsmitarbeiterin Jasperine Schupp erklären lassen. Chefarzt Falk Weiß von der Suchtfachklinik „Magdalenenstift“ in Chemnitz hat das Programm für uns therapeutisch eingeordnet.

Ein neues Sucht-Projekt in Amsterdam spaltet die Gemüter. 05:25

Der Beitrag zum Mitlesen:

Anmerkung der Redaktion: Die Interviews sind von der Redaktion aus dem Englischen übersetzt.

Missbilligende Blicke, verachtende Kommentare oder gar komplette Ignoranz – Alkoholiker bekommen diese Verhaltensweisen von der Gesellschaft immer wieder zu spüren. Häufig leben sie als Suchtkranke ein Leben am Rande der Gesellschaft – ohne Pläne, ohne Motivation und ohne Job. Genau da will nun ein niederländisches Projekt ansetzen. Die staatlich geförderte „Stiftung Regenbogen“ bietet Alkoholikern einen Teilzeitjob bei der Straßenreinigung an. Entlohnt werden die Teilnehmer der „sweeping cleaning group of the eastern park in Amsterdam“, also der straßensäubernden Gruppe des Oosterparks, jedoch nicht nur mit normalem Geld. Für sechs Stunden Arbeit gibt es fünf Dosen Bier, etwas Tabak und zehn Euro. Jasperine Schupp von der Stiftung Regenbogen erklärt den Hintergrund des Projekts.

Wir kamen auf die Idee, diesen schweren Alkoholikern ein bisschen Alkohol zu geben – also etwa fünf Dosen Bier am Tag –  zusammen mit einem aktivierenden Programm. Und die Kombination daraus, den Alkohol, den wir aushändigen und das aktivierende Programm, das funktioniert sehr gut.

Momentan nehmen 19 Alkoholiker an dem neuen Programm teil. Sie alle haben vorher täglich im Oosterpark der Stadt gesessen, gepöbelt und getrunken. Eine Situation, die sowohl die Nachbarn als auch die Justiz immer wieder aufs Neue beschäftigte. Jetzt räumen die Alkoholiker den von ihnen verursachten Müll selber weg  und werden dafür unter anderem mit einigen Dosen Bier belohnt. Die Stiftung beruft sich dafür auf eine in Holland bereits traditionelle Methode.

Wir kamen auf die Idee – die wir Schadensbegrenzung nennen – weil wir so etwas für Drogenabhängige haben, aber nicht für Alkoholsüchtige.  Also dachten wir uns, es sei eine gute Idee für Leute, die seit sehr vielen Jahren trinken, ihnen etwas Alkohol am Tag zu geben, aber auch Essen und medizinische Versorgung.  Außerdem sollten sie arbeiten. Also ihnen etwas Alkohol zu geben ist nur ein Teil des ganzen Programms.

Die Initiatoren und Unterstützer des Programms legen also Wert darauf, das große Ganze zu betrachten. Dennoch stößt die Methode, Alkoholiker mit Alkohol zu bezahlen, in der Öffentlichkeit auf Kritik. Dass die Aushändigung für Außenstehende im ersten Moment merkwürdig erscheint, versteht Jasperine Schupp:

Das ist ein pragmatischer Denkansatz, denn diese Menschen haben die gesamten vergangenen 20, 25 Jahre sehr stark getrunken. Sie haben so Vieles versucht, um aufzuhören: Entzug, Klinik und andere Programme. Aber es scheint, als würden sie es einfach nicht schaffen. Und deshalb müssen wir akzeptieren – ob wir es mögen oder eben nicht – dass diese Menschen trinken. Die Frage, die nun noch bleibt, ist: Ob sie noch in der Lage sind zu arbeiten? Denn wenn sie es sind, könnte daraus eine Win-Win-Situation für sie selbst und für die Gesellschaft entstehen.

Dass die Gesellschaft letztlich diejenige sein könnte, die mehr von der Resozialisierung hat, als die Alkoholkranken selbst, fürchtet auch Falk Weiß. Er ist Chefarzt der Suchtfachklinik „Magdalenenstift“ in Chemnitz.

Das Ziel der Amsterdamer ist letztendlich nicht die Sucht in irgendeiner Weise zu befördern oder eine Besserung herbei zu führen, sondern bloß die Folgen der Sucht. Das ist eine Sache, der ich mich nicht so ohne Weiteres anschließen kann. Mir erscheint es so, als sei es das Ziel, die von den Alkoholikern durchgeführten, sozial auffälligen Verhaltensweisen, zu reduzieren. Aber ich denke, man sollte das Übel an der Wurzel packen und die Sucht in den Augenschein nehmen und nicht dahingehend die Suchtkranken letztendlich zu sozial unauffälligen Verhaltensweisen zu motivieren.

Die Amsterdamer sollten demnach den Leitspruch „Liebe den Alkoholiker, aber nicht den Alkoholismus“ annehmen. Und sich also dem Alkoholiker, seinen Ängsten und Problemen widmen, nicht aber dessen Krankheit dulden. Der Suchtkranke sollte stets im Fokus des Programms stehen. Wenn das beachtet würde, glaubt auch Weiß an den Erfolg des niederländischen Projekts.

Ich denke es dient Beiden, dahingehend letztendlich, dass die Leute tatsächlich positive Lebenserfahrungen machen. Und ich möchte es auch nicht ausschließen, dass auf der Grundlage dieser positiven Lebenserfahrungen auch Dieser oder Jener dazu kommt, sich zu einer Abstinenz zu entscheiden.

Eben von diesen „positiven Lebenserfahrungen“ bekommen Jasperine Schupp und Ihre Kollegen nach eigenen Aussagen immer häufiger von den Teilnehmern zu hören.

Einer der Alkoholiker, mit denen ich gesprochen habe, sagte mir: „Als ich einmal die Straßen im Park reinigte, kam eine der Anliegerinnen auf mich zu, klopfte mir auf die Schulter und sagte zu mir: ‚Hey, du bist einer der Männer, die immer getrunken haben, aber jetzt beobachte ich dich beim Kehren und Aufheben der Dosen – Ich bin wirklich stolz auf dich!’“ Und der Effekt dieser kleinen Worte einer Nachbarin ist so groß für diese Menschen. Er hat mir daraufhin gesagt, dass er niemals größere Motivation verspürt hat, das Trinken einzuschränken.

Genau damit habe das Projekt für die Mitarbeiter der Stiftung Regenbogen schon den größten Schritt geschafft. Sollte das Programm weiterhin so erfolgreich laufen, würde es künftig zudem noch weiter ausgebaut werden.

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