Robert Crumb und seinen Comics kann man einiges vorwerfen: Frauenfeindlichkeit, Rassismus und die Verharmlosung exzessiven Drogenkonsums. Auf den ersten Blick betrachtet, mag das sogar stimmen. Auf den zweiten Blick offenbaren seine Comics jedoch ein feines Gespür für die Ränder der Gesellschaft, das Unappetitliche und das Unaussprechliche.
Sexuelle Neurosen und religiöser Wahn
In der Comic-Sammlung „Nausea“ beschäftigt sich Robert Crumb mit Themen wie Wahnsinn, sexuelle Freiheiten und Frustrationen, aber auch fanatischem, religösen Übereifer. Den Auftakt des Bandes macht die Story „Psychopathia Sexualis“. Das gleichnamige Lehrbuch galt im 19. Jahrhundert als Standardwerk der Sexualwissenschaften und beschäftigt sich ausschweifend mit allen Arten sexueller Abnormitäten bzw. dem, was man damals dafür hielt.
Unkommentiert interpretiert und zeichnet Crumb die im Buch beschriebenen Fälle und zeigt so ein Abbild der damaligen Sexualmoral, ohne dabei aber den Zeigefinger zu heben. Homosexualität und Schuh-Fetische stehen dabei auf einer Stufe mit Kannibalismus und Zoophilie. Dem Leser bleibt selbst überlassen, auf welche Weise er die damalige Sexualmoral bewertet und wie er die einzelnen Fälle in seinen eigenen Wertekanon einordnet.
Frauenfeindlichkeit und unappetitliche Details
In weiteren Geschichten interpretiert Robert Crumb unter anderem „Der Ekel“ von Jean-Paul Sartre oder den religösen Wahnsinn des Sci-Fi-Autors Philip K. Dick. Überstrapazierte Sexualität, derbe Sprache und ein Fokus auf unappetitliche Details gehören dabei quasi zum stilistischen Grundrepertoir Robert Crumbs.
Trotzdem liefert Crumb keinen primitiven Schund. Er öffnet den Blick des Lesers für Themen, die im normalen Leben überhaupt nicht vorkommen – und wenn, dann nur am Rande. Selbst vom Vorwurf der Frauenfeindlichkeit kann man Robert Crumb entlasten. Am deutlichsten wird dies in den liebevollen Portraits von Patientinnen einer Irrenanstalt aus dem 19. Jahrhundert. Seine komplett überzogenen und übersexualisierten Frauenbilder dienen lediglich dazu, seine eigenen sexuellen Unzulänglichkeiten und Minderwertigkeitskomplexe zu untermalen.
Robert Crumb, der Bukowski der Comic-Szene
Robert Crumb ist für die Comic-Szene das, was Charles Bukowski für die Literatur war: derb, streitbar und immer hart an der Grenze des guten Geschmacks. Dabei aber immer getrieben von Auflehnung und einem Feingefühl für die Underdogs und Ausgestoßenen der Gesellschaft. Einen guten Einstieg in sein Werk bietet dafür die Comic-Sammlung „Nausea“, der Buchtipp von detektor.fm-Redakteur Pascal Anselmi.
Redaktion: Pascal Anselmi