Zwei Jahre ist es her, da ging ein Aufschrei durch die Theaterlandschaft. Das „Neue Theater“ in Budapest bekam eine neue Leitung. Györgi Dörner übernahm den Posten des Direktors. Der ehemalige Schauspieler gilt als politisch rechts außen und hat noch dazu wenig Erfahrung mit der Leitung eines Theaters. Seine Ernennung ist äußerst umstritten gewesen, denn der Budapester Bürgermeister hat sich damals über die Empfehlung einer Expertenkommission hinweggesetzt. Mittlerweile heißt das „neue Theater“ „Heimatfront Theater“, gespielt werden nur noch ungarische Stücke.
Die Presse der Hauptstadt gibt sich gespalten: In eher rechten Zeitungen werden die Inszenierungen bejubelt. Linke boykottieren Dörners Theater. Eine Spaltung, die die des Landes widerspiegelt. Der ungarische Theaterregisseur Viktor Bodó war eine der Stimmen gegen Dörner’s Ernennung. Für ihn ist Ungarn ein tief gespaltenes Land.
Es gibt sehr sehr viele Gegensätze und Widersprüche in der ungarischen Gesellschaft und viele Parteien. Eigentlich ist das Land in mehrere Teile gespalten. Es gibt viel Armut, Aussichtslosigkeit, Arbeitslosigkeit. Und in so einer Situation ist verständlich, dass viel Blödsinn geredet wird. Aber es gibt schon Sachen, die man sehr ernst nehmen sollte.
Bodó ist mittlerweile am Schauspielhaus in Graz tätig und tourt mit seiner eigenen Theatergruppe „Szputnyik Shipping Company – Modernes Theater- und Verhaltensforschungsinstitut und -labor/Workshop.“. Die bekommt den Wind von rechts vor allem finanziell zu spüren.
Wir bewerben uns zwar um Fördergelder und bekommen die auch genehmigt, aber die werden nicht ausgezahlt. Wenn überhaupt, dann kriegen wir das Geld viele Monate später. Und jedes Jahr stellt sich die Frage, ob es vielleicht überhaupt kein Geld geben wird.
Das Ganze funktioniert auch umgekehrt. Theater, die politisch auf einer Linie mit den eher nationalistischen Kräften im Land liegen, bekommen überproportional viele Fördergelder. Dass es einem Haus wie Dörner’s „Heimatfronttheater“ finanziell nicht schlecht geht – geschenkt.
Ganz anders scheint die Lage, wenn man sich die Zuschauerzahlen ansieht. Offizielle Zahlen gibt es zwar nicht, aber es scheint, als sei das Theater nicht sonderlich ausgelastet. Oft fallen Aufführungen wegen technischer Schwierigkeiten aus oder werden zusammengelegt.
Das passt zu dem Vorwurf, dass die Lage in Ungarn von den Medien hochgeschrieben wird. Auch für Viktor Bodó ist die politische Situation in Ungarn ernst, aber nicht so düster, wie sie scheint.
Leider haben die Rechten in Ungarn in der Politik sehr viel Platz eingenommen. Aber es gibt viele, die dagegen die Stimme erheben und sich damit auseinandersetzen, weil die Rechten eben da sind. Aber ich muss betonen, dass wir nicht in einem Nazi-Land leben.
Trotz aller beschwichtigenden Worte, die politische Lage in Ungarn schreit nach Protest. So kam es nach einer Ballettpremiere am vergangenen Freitag erst zu einer Protestaktion. Der Produktionsleiter des freien Budapester Theaters Krétakör erhob sich beim Schlussapplaus mit einem Megafon und protestierte gegen die Sondersubventionen, die das Ungarische Festivalballett erhalten hat. Viele freie Theater hatten zur selben Zeit kein Geld überwiesen bekommen, obwohl es ihnen zugesichert wurde.
Ein anderer Punkt sind die zahlreichen offenen Briefe. Einen solchen hat zum Beispiel der Direktor des Wiener Burgtheaters Matthias Hartmann geschrieben. Das zuständige Ministerium hat Hartmann mittlerweile nach Ungarn eingeladen. Eine klare Stellungnahme fehlt allerdings. Für Viktor Bodó ist das eines der Hauptprobleme.
In so einer Situation wäre es am wichtigsten, dass die politischen Kräfte, die jetzt an der Macht sind, sich ganz klar und eindeutig von diesen extremistischen Äußerungen abgrenzen. Und dass sie das nicht klar genug machen, das empfinde ich als einen Riesenfehler.
Gerade deswegen sollte der Protest nicht verstummen. Bodó selbst findet, dass jeder Versuch des Protests wichtig ist:
Ich glaube, dass es einen Sinn hat und dass man alles versuchen muss, um irgendwie zu verhindern, dass die Sachen in eine Richtung gehen, von der wir schon in der Geschichte gesehen haben, dass das die falsche Richtung ist. Ich glaube nicht nur, dass es einen Sinn hat, es ist auch eine Pflicht für jeden, das Wort zu ergreifen.
Der Fall um György Dörner und das „Neue Theater“ in Budapest ist zwar nur ein Einzelfall, dennoch spiegelt er die Stimmung in Ungarn wider, die von außen immer befremdlicher wirkt. Wie sich das Land und Ungarns Theaterszene weiterentwickelt, kann man nur abwarten. Klar ist nur: der Kulturkampf ist noch nicht vorbei.