Amsel, Drossel, Fink und Star, Tiger, Löwe, Elefant. Ein paar Dutzend Tierarten könnte wohl jeder noch spontan aufzählen, aber dann wäre auch bald Schluss. Von den hunderttausenden verschiedenen Lebewesen auf diesem Planeten kennen selbst Experten nur einen winzigen Bruchteil. Die Biodiversitätsforschung will diese Vielfalt ergründen.
Biodiversitätsforschung steht unter Zeitdruck
Doch die große Artenvielfalt ist in Gefahr – denn sie schrumpft dramatisch. Ständig sterben Tiere und Pflanzen aus. Das geht oftmals schneller, als Wissenschaftler sie entdecken und beschreiben können. Dadurch gerät auf lange Sicht das gesamte Ökosystem aus dem Gleichgewicht – mit schwerwiegenden Folgen auch für uns Menschen. Denn die komplexen Kreisläufe der Natur sind noch lange nicht entschlüsselt. Damit das gelingen kann, müssen verschiedene Disziplinen zusammenarbeiten.
Biodiversität – ein Begriff mit vielen Facetten
Was alles hinter dem Begriff Biodiversität steckt und wie Forscher die Kreisläufe der Natur untersuchen, erklärt François Buscot, der stellvertretende Direktor des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung in Leipzig.
Warum Biodiversität auch für den Menschen im Alltag von Bedeutung ist, haben wir Klaus Töpfer gefragt, den Direktor des Institute of Advanced Sustainability Studies Potsdam und früheren Umweltminister. Ohne Artenvielfalt, so glaubt Töpfer, kann es keine nachhaltige Entwicklung geben.
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Der Beitrag zum Nachlesen:
Biodiversität ist für die Menschheit existentiell. So sieht es der Direktor des Institute of Advanced Sustainability Studies in Potsdam, der ehemalige Umweltminister Klaus Töpfer. Die Artenvielfalt zu erforschen und zu erhalten ist für ihn eine Aufgabe von globaler Bedeutung.
Wir gehen in dieser Welt auf 9 Milliarden Bürgerinnen und Bürger zu. Als ich geboren wurde, waren es 2,7 Milliarden. Wir werden eine nachhaltige Entwicklung, also eine Lebensgrundlage für 9 Milliarden Menschen, nur schaffen können, wenn wir mit großem Bedacht die Weisheiten der Natur mit entschlüsseln und wissen, was kann uns Lösung sein, und was kann uns große Gefahr geben, wenn wir dahin weitergehen. Und wir sehen, dass wir über die Wege, wie Natur Probleme löst, noch viel zu wenig wissen. – Klaus Töpfer
Diese Wege genauer zu ergründen, ist Aufgabe der Biodiversitätsforschung. Und die steht gehörig unter Zeitdruck. Denn viele Arten sterben schon aus, bevor Wissenschaftler sie entdecken und beschreiben können. Wie viele Tiere und Pflanzen von Jahr zu Jahr für immer verschwinden, lässt sich also nicht genau sagen, meint François Buscot, der stellvertretende Direktor des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung in Leipzig:
Was wir auf alle Fälle wissen, ist, dass wir viele Habitate verlieren, durch Rodung. Also wir müssen so schnell wie möglich Dinge kennenlernen, bevor sie überhaupt wegfallen von unserem Planet. Gegebenenfalls gibt es auch noch die Möglichkeit, Strategien zu entwickeln, um doch manche dieser Arten und dieser Vielfalt zu retten. – François Buscot
In der Erdgeschichte hat es schon früher Phasen gegeben, in denen besonders viele Arten verloren gingen. Die Ursachen waren zum Beispiel Meteoriten-Einschläge oder plötzliche Klima-Änderungen, sagt François Buscot. Die jetzige Biodiversitäts-Krise haben dagegen eindeutig wir Menschen verursacht. Denn eigentlich tendiert die Natur dazu, ständig neue Arten und damit mehr biologische Vielfalt zu bilden.
Das war ja eine Ur-Entdeckung von Charles Darwin: Wenn eine Insel von einer Vogelart kolonisiert wird, kann man davon ausgehen, dass nach einer gewissen Zeit, also vielen vielen Jahren, Jahrzehnten, sogar Jahrhunderten, aus dieser ursprünglichen Vogelart sich zehn, zwanzig unterschiedliche Arten ausdifferenziert haben werden. Warum ist das so? Es gibt andere Theorien in der Biologie, die sagen, dass es nicht so sein müsste. Und im Grunde verstehen wir diese natürliche Expansion der biologischen Vielfalt, wir verstehen die Mechanismen nicht. – François Buscot
Die Biodiversitätsforscher möchten aber nicht nur Arten und ihre Entstehung untersuchen. Sie wollen auch verstehen, wie die verschiedenen Lebewesen voneinander abhängen, wie ganze Ökosysteme miteinander verflochten sind. Nur so lässt sich die Dynamik der Natur schlüssig erklären. Als Beispiel nennt François Buscot Düngemittel, die (manchmal ungewollt) in immer mehr Böden gelangen. Dadurch verschwinden die Unterschiede zwischen fruchtbaren und unfruchtbaren Böden.
Und diese unterschiedlichen Fruchtbarkeiten, die waren früher mit der Möglichkeit verbunden, eine große Vielfalt zu tragen. Weil es gibt Pflanzen, die angepasst sind an sehr nährstoffarme Böden. Und wenn diese Böden durch Eintrag mit dem Regen von Nitrat zum Beispiel oder Stickstoff gedüngt werden, dann verschwinden diese Pflanzen. Also wir verlieren Habitat, wir homogenisieren unser Habitat. Und das ist grundsätzlich ein Mechanismus, der für den Verlust von Arten verantwortlich ist. – François Buscot
Der Verlust der biologischen Vielfalt ist manchmal auch eine direkte Folge politischer Entscheidungen. Eine Ahnung davon bekommt, wer sich die Getreidefelder anschaut: Auf immer mehr Äckern bauen Landwirte heute Mais an und erzeugen daraus Energie, sagt Klaus Töpfer:
Das hat natürlich politische Konsequenzen, wenn wir diese Energie so fördern. Dann werden sehr viele Landwirte sie natürlich auch erzeugen, und dann haben wir die Konsequenz, dass wir immer mehr nicht mehr durch Landschaften, sondern durch Maisfelder laufen, das ist ein Verlust an Vielfalt. – Klaus Töpfer
Im komplexen Zusammenspiel aller Lebewesen eines Ökosystems kann so ein Verlust unabsehbare Folgen haben. Ohne die Erkenntnisse der Biodiversitätsforschung wird auch der Klimaschutz schwieriger, meint Töpfer. Denn nur eine intakte Natur kann das vom Menschen ausgestoßene CO2 wieder aufnehmen.
Sie werden keine Klimapolitik ohne Artenvielfalt machen können. Wir brauchen stabile Böden. Böden sind die Aufnahmebereiche für CO2, weil im Boden viel Leben ist. Wo Leben ist, brauchst du auch CO2. – Klaus Töpfer
Doch gerade die Artenvielfalt in den Böden ist noch kaum untersucht. Wissenschaftler kennen weniger als ein Prozent der lebenden Organismen im Boden, schätzt der Bodenökologe Buscot. Auf die Biodiversitätsforschung wartet also noch viel Arbeit.