1955: Ein holpriger Start
Das heutige DOK-Leipzig wird 1955 als „Leipziger Kulturfilmwoche“ gegründet. Es geht auf den Club der Filmschaffenden der DDR zurück und soll eine gesamtdeutsche „Kulturfilmwoche“ werden. Neben Mannheim und Oberhausen soll auch im Osten eine Kulturfilmwoche entstehen. Nach zwei Jahren ist dann jedoch schnell wieder Schluss.
1960 geht es dann mit neuem Namen und einer neuen Ausrichtung weiter. Das Festival soll jetzt international und politisch sein. In Leipzig haben in den folgenden Jahren viele Dokumentarfilmer aus aller Welt ihre Arbeiten präsentiert. Das ist auch im Sinne der DDR-Staatsführung gewesen.
Politische Vereinnahmung
Ab Mitte der 1960er Jahre wird dann die Freiheit der Filmschaffenden stärker eingeschränkt. Es kommt generell zu einer Zäsur in der Kulturpolitik. Die zunehmende Ideologisierung geht in großen Schritten voran. Beamte der Staatssicherheit überwachen verdeckt die Filmvorführungen. Gesellschaftliche Kritik am System wird unterdrückt.
Die Westgäste wohnten in den besseren Hotels, aber der Hauptgrund war auch, damit man ihr Telefon abhören konnte. – Wilhelm Roth, westdeutscher Journalist für Süddeutsche und EPD Film
Neustart für DOK-Leipzig
Die friedliche Revolution macht es dann den Veranstaltern aber nicht unbedingt leichter. Schwindende Zuschauerzahlen, sinkende internationale Relevanz und die Konkurrenz durch andere Festivals machen dem Festival zu schaffen. Durch den Enthusiasmus vieler Mitarbeiter kann das Festival die schwierigen 1990er Jahre überstehen.
Mit der Animationsfilmsparte gewinnt das DOK-Leipzig sein jetziges Format und mit ihr ein zweites Standbein. In dieser Kombination hat das DOK-Leipzig ein weltweit eigenständiges Profil. Mit der Einführung von Markt- und Branchenangeboten steigt dann ab dem Jahr 2004 die internationale Relevanz.
Redaktion: Christian Bollert, Jérôme Fischer
In der Serie „Klappe“ beschäftigen wir uns in fünf Teilen mit Geschichte und Gegenwart des DOK Leipzig.
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Der Beitrag zum Nachlesen
Das DOK Leipzig wird 1955 als „Leipziger Kulturfilmwoche“ gegründet. Es geht auf eine Initiative des „Clubs der Filmschaffenden der DDR“ zurück und soll eine gesamtdeutsche „Kulturfilmwoche“ sein. Der Historiker Andreas Kötzing vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung der Technischen Universität Dresden über die ursprüngliche Idee des Festivals:
Damals in Leipzig war eben die Idee, ergänzend zu den beiden anderen Kulturfilmwochen, die es in Mannheim und Oberhausen schon gab, ein drittes Festival ins Leben zu rufen, diesmal eben in Ostdeutschland, in der DDR, wo Filmemacher aus der Bundesrepublik und aus der DDR gemeinsam die Möglichkeit haben sollten, über ihre Filme zu sprechen, sie erst einmal gegenseitig zu sehen. Das ist ja damals zur Zeit des kalten Krieges schon keine Selbstverständlichkeit mehr gewesen und dort einem Raum zu haben, um gemeinsam miteinander diskutieren zu können. – Historiker Andreas Kötzing
Diese Tradition der ersten Festivalausgaben erkennt und betont auch der neue Programmchef des DOK Leipzig Ralph Eue.
Es gab ja auch immer in Westdeutschland und der DDR, sprich Oberhausen und Leipzig, für beide Festivals interessanterweise, komischerweise vielleicht auch, ähnliche Probleme. Nämlich, dass sich im Westen Oberhausen für die politische Elite viel zu offen und viel zu gesprächsbereit gegenüber dem Osten ausgesehen hat. Und umgekehrt war es genauso. Also das kann man vielleicht als eine der Gründungselemente sehen, nämlich wirklich so eine deutsch-deutsche Austauschplattform zu installieren. – Programmchef Ralph Eue
Doch die Idee der deutsch-deutsche Austauschplattform wird schon 1957 wieder verworfen. Drei Jahre lang gibt es kein Festival. Ab 1960 soll dann in Leipzig ein internationales Festival für politisch engagierte Dokumentar- und Kurzfilme veranstaltet werden. Das Festival wird deutlich internationaler und verändert seinen Charakter, wie Andreas Kötzing betont:
Erst ab 1960 hat das Festival dann tatsächlich in einem internationalen Rahmen stattgefunden. Dann allerdings mit einer ganz neuen Ausrichtung. Dann ging es nicht mehr um den deutsch-deutschen Dialog, der im Mittelpunkt stand., sondern dann ging es schon sehr sehr schnell um eine Abgrenzung vom Westen. Also dieses Anti-Imperialistische, diese Abgrenzung von den kapitalistischen Staaten, das Herausstellen der Erfolge der sozialistischen Staaten. Das ist so ein bisschen dem Leipziger Festival in die Wiege gelegt worden. Auch wenn sich die Veranstalter insbesondere in den ersten Jahren an diesen ideologischen Auftrag noch nicht so richtig gehalten haben und versucht haben, das Festival so weltoffen und so international wie möglich zu gestalten. – Andreas Kötzing
Die DDR-Kulturbehörden haben das Festival gerade vor dem Hintergrund des Mauerbaus unterstützt und toleriert. Für den Historiker Kötzing hatte das Festival eine ähnliche Funktion wie die jährlichen Frühjahrs- und Herbstmessen in Leipzig. Dort wollte die DDR-Führung internationalen Gästen die angebliche Weltoffenheit des neuen sozialistischen Staates demonstrieren. Und tatsächlich kamen jedes Jahr hunderte Gästen aus dem Westen. Darunter viele Journalisten, wie zum Beispiel Wilhelm Roth, der seit 1965 regelmäßig für die Süddeutsche Zeitung und EPD Film vom Festival berichtete. Er erinnert sich an die Premiere des Dokumentarfilms „Der gewöhnliche Faschismus“ von Michael Romm 1965:
Das war das zentrale Ereignis, über das alle Leute geredet haben. Wo natürlich dann auch schon eine Diskussion aufkam, ob denn diese Analyse, die Michael Romm vom Nationalsozialismus, vom Faschismus gemacht hat, nicht sich in gewisser Weise auch auf den stalinistischen Sozialismus überträgen lässt. Die DDR hat ja dann den Film zwar in den Verleih genommen, aber der hatte nur eine ganz kurze Kinokarriere in der DDR. Deswegen weiß ich genau, dass es dieses Jahr war. – Wilhelm Roth, damals Journalist für Süddeutsche und EPD Film
1965 gibt es für die DDR-Kulturpolitik eine Zäsur. Im Rahmen des 11. Plenums werden viele Spielfilme verboten. Das betrifft natürlich auch das Dokumentarfilmfestival in Leipzig. Historiker Andreas Kötzing
Es gab einen Personalwechsel, die Leute, die dieses Festival trotz aller Anbindung an den Sozialismus und trotz aller politischer Überzeugung, trotzdem versucht hatten, so offen wie möglich zu gestalten, die sind aus den Ämtern geflogen. Es kamen neue Leute in Positionen und das Festival hat dann eine zunehmende Ideologisierung erfahren. Die politischen Aspekte, das Werben für den Sozialismus, das hat immer stärkeren Platz im Rahmen des Festivalprogramms eingenommen. – Andreas Kötzing
Ab Ende der 1960er Jahre ist auch die Stasi zunehmend auf dem Festival präsent. Das beobachtet auch der westdeutsche Journalist Wilhelm Roth. In seiner Erinnerung saßen in jeder Vorstellung gleich mehrere Stasi-Mitarbeiter, seine ostdeutschen Bekannten wussten oft schon, wer zur Stasi gehörte. In seiner Akte hat er dann später selbst die belanglosesten Telefon-Gespräche lesen können.
Die Westgäste wohnten in den besseren Hotels, aber der Hauptgrund war auch, damit man ihr Telefon abhören konnte. – Wilhelm Roth
Für den Journalisten Roth gibt es zwei politisch besonders bemerkenswerte Jahre. Die Ausweisung Biermanns 1976, denn sein berühmtes Konzert in Köln fand unmittelbar vor Beginn des Festivals statt. Im Anschluss daran hat er intensive Debatten der Filmemacher in Leipzig mitbekommen, weniger in den Kinos als dann abends in den Restaurants. Außerdem erinnert sich Wilhelm Roth an das Jahr 1983.
Da standen vor dem Kino als man am Eröffnungstag ankam junge Leute mit Kerzen in der Hand und demonstrierten für Frieden und die wurden verhaftet. Dann gab es ständig Delegationen von Festivalbesuchern bei der Leitung des Festivals, dass die freigelassen werden sollen. Dann hieß es, ja die seien, das hat man aber nicht überprüfen können. Das hat die Atmosphäre in diesem Jahr sehr belastet. – Wilhelm Roth
Trotz Zensur und staatlichen Eingriffen ins Programm bleibt das Leipziger Festival zu DDR-Zeiten für viele filmbegeisterte Zuschauer der wichtigste Ort, um den eigenen filmischen Horizont zu erweitern. Wurden doch internationale Dokumentarfilme nur selten in DDR-Kinos oder im Fernsehen gezeigt. Erst in den späten 1980er Jahren mit Beginn der Perestroika-Zeit in der Sowjetunion öffnet sich das Festival stärker für gesellschaftliche Kritik am Sozialismus. 1989 suchen die Festivalmacher dann während der friedlichen Revolution nach neuen Wegen. Der Fortbestand des Festivals nach 1990 war keineswegs selbstverständlich. Der heutige Programmchef Ralph Eue blickt zurück:
Es gab ja unmittelbar nach der Wende einen längeren Zeitraum, wo das Festival regelrecht in Gefahr war, ob es überhaupt weiterbestehen konnte. Einige Direktoren und überhaupt das ganze Team des Festivals haben mit großer Energie, mit großer Sorgfalt, mit Enthusiasmus und wenig Mitteln dafür gesorgt, dass dieser Exitus nicht eingetreten ist. – Ralph Eue
Auch für den Historiker Andreas Kötzing ist der Fortbestand des Festivals keine Selbstverständlichkeit. Ende der 1990er Jahre ist das DOK Leipzig jedoch international nicht mehr so bedeutend. Das ändert sich in der Analyse von Andreas Kötzing in den 2000er Jahren mit dem Festivalchef Claas Danielsen. Hier steigt auch die internationale Relevanz wieder.
Die hat dann sehr viel stärker wieder dadurch gewonnen, dass auch Branchenangebote auf dem Festival eingeführt worden sind. Der Markt, den man geschaffen hat. Ein Podium für Filme, die hier überhaupt erst einmal präsentiert werden und hier die Möglichkeit haben, einen Verleih zu finden. Diese ganzen Industrieangebote, die zum Festival hinzugekommen sind, die haben meines Erachtens auch maßgeblich dazu beigetragen, dass das Festival wieder an internationaler Relevanz gewonnen hat und mittlerweile zu den wichtigsten Dokumentarfilmfestivals in Europa zählt. Das ist ja etwas, worauf man stolz sein kann. Die Publikumszahlen und die Rekorde, die das Festival in den vergangenen Jahren gesammelt hat, geben dem Ganzen in einer gewissen Art und Weise Recht. – Andreas Kötzing
Seit dem Jahr 2015 wird das Festival von der Finnin Leena Pasanen geführt. In den ersten Monaten hat es viele Diskussionen über ihren Führungsstil, personelle Wechsel und die Ausrichtung des Festivals gegeben. Für den aktuellen Programmchef geht es dem aktuellen Team darum, den Stellenwert des Festivals als eines der zehn wichtigsten Dokumentarfilmfestivals der Welt zu behaupten. Ralph Eue:
Einfach so eine Balance herzustellen zwischen diesem Erbe, das dem Festival aufgegeben ist, aber das Erbe nicht so zu behandeln, als etwas, das man einen Tanz um das goldene Kalb veranstaltet, sondern das man das eigentlich als Aufgabenstellung versteht, dieses Festival in die Zukunft, möglichst unbeschadet, hineinzutragen. – Ralph Eue
Am 30. Oktober 2017 beginnt die 60. Ausgabe des DOK Leipzig mit dem Eröffnungsfilm „Betrug / Betrayal“ von David Spaeth.