100 Jahre Oktoberrevolution
Mit der diesjährigen Retrospektive „Kommandanten, Vorsitzende, Generalsekretäre“ widmet sich das DOK Leipzig der filmischen Inszenierung des Kommunismus und seiner Machthaber. Anlass hierzu gibt das 100. Jubiläum der Oktoberrevolution in Russland. Denn dass der Kommunismus eines der wichtigsten historischen Phänomene des 20. Jahrhunderts ist, dürfte jedem klar sein.
Dabei ist die Verbreitung des Kommunismus nicht von der Entwicklung des bewegten Bildes zu trennen. Denn die Bilder der Revolutionen in Russland haben die Welt in Windeseile erobert. Doch heute weiß man, auch diese waren inszeniert.
Das DOK und die kommunistische Inszenierung
Das internationale Dokumentar- und Animationsfilmfestival Leipzig ist in seiner eigenen Geschichte ebenso Plattform kommunistischer Inszenierung gewesen. Auch deshalb kommt der diesjährigen Retrospektive besondere Bedeutung zu. Zwar war man in den 60ern deutlich international aufgestellt, doch stand auch dabei die Propagandamaschinerie des Ostblocks keines Wegs still.
Die internationale Bühne wurde genutzt, um die verstorbenen „Helden des Sozialismus und Kommunismus“ zu ehren und gebührend zu inszenieren. Zugleich versucht man der „anti-kommunistischen Gegenpropaganda“ mittels anspruchsvollen Dokumentationen den Boden zu entziehen.
Wir haben auch ganz bewusst Propagandafilme mit drin, die also sehr unverblümt die Vorteile der kommunistischen Rechts- und Staatsordnung über die Rampe bringen. – Ralph Eue, Programmchef DOK Leipzig 2017
Offene Fragen
Programmchef Ralph Eue geht es dabei nicht um eine bloße Sammlung und Zurschaustellung. Er will vielmehr Fragen an die Filme richten. Dabei möchte er an die Tradition des DOK Leipzig Festivals anknüpfen und freut sich auf lebhafte Diskussionen. Denn der Versuch des Verstehens und Verständigens, gerade durch das Medium Dokumentarfilm, ist Eue und seinem Team ein wichtiges Anliegen.
Wir sind ja alle mündig genug, um uns diesen Bildern und diesen Argumentationen und diesen Diskursen zu stellen. – Ralph Eue
Die diesjährige Retrospektive des DOK Leipzig lädt dazu ein, sich dem Phänomen Kommunismus in seiner Selbstinszenierung anzunähern. Ein Beitrag von Jérôme Fischer, gesprochen von Eva Morlang.
Redaktion: Jérôme Fischer
In der Serie „Klappe“ beschäftigen wir uns in fünf Teilen mit Geschichte und Gegenwart des DOK Leipzig.
Alle Folgen: detektor.fm/dok-leipzig
detektor.fm ist Medienpartner des DOK Leipzig 2017.
Beitrag zum Nachlesen
Wir haben in dieser Serie zum DOK Leipzig 2017 schon ausführlich über die vielen Widersprüche des Festivals selbst gesprochen. Auf der einen Seite ist es für viele DDR-Bürger ein filmisches Fenster zur Welt, auf der anderen Seite Sprachrohr der sozialistischen Idee.
Ralph Eue, diesjähriger Programmchef des DOK Leipzig, über die herausfordernde Aufgabe der diesjährigen Retrospektive „Kommandanten, Vorsitzende, Generalsekretäre“:
100 Jahre Kommunismus. Wie begeht man so einen Geburtstag? Ist das Anlass zum Feiern? Ist man froh, dass es vorbei ist? Oder was sind die verschiedenen anderen denkbaren Möglichkeiten zwischen Hagiographie und Verdammung? Wir sind dann irgendwann mal auf diese Idee gekommen, dass so, wie die kommunistische Führung oder das kommunistische Führungspersonal dargestellt wurde, wie es sich selber sehen wollte, dass das bestimmten ikonographischen Regeln folgt. Die Entscheidung war dann irgendwann mal zu gucken, wie stellt sich kommunistische Machtausübung, oder wie stellt sich kommunistischer Machtanspruch in Dokumentarfilmen dar. – Ralph Eue, Programmchef des DOK Leipzig
Dabei ist Dokumentarfilm nicht gleich Dokumentarfilm. Anfang der 50er spricht man beispielsweise noch eher von Bildungs- oder Lehrfilmen. Der Begriff Dokumentarfilm hat sich etwa zu der Zeit etabliert, als auch das Festival gegründet worden ist.
Weltweit seien zu dieser Zeit Bewegungen entstanden, erklärt der Historiker Andreas Kötzing.
Die internationalen neuen Dokumentarfilmbewegungen, die damals aufgekommen sind – das cinema vérité aus Frankreich, das direct cinema aus den USA – die Vertreter kamen nach Leipzig, die haben ihre Filme gezeigt, die sind zum Teil euphorisch gefeiert worden. – Andreas Kötzing, Historiker
Kommunismus, Sozialismus und Propaganda sind nicht voneinander zu trennen. Deshalb setze sich die Retrospektive auch bewusst mit fragwürdigen propagandistischen Inhalten auseinander, erklärt Ralph Eue.
Wir haben auch ganz bewusst Propagandafilme mit drin, die also sehr unverblümt die Vorteile der kommunistischen Rechts- und Staatsordnung über die Rampe bringen. Dass da so viele offene Fragen sind, wo ich mich drauf freue, mit einem interessierten Publikum mich da drüber auszutauschen. Wir sind ja alle mündig genug, um uns diesen Bildern und diesen Argumentationen und diesen Diskursen zu stellen. Ich finde es einfach fruchtbar, sich denen zu stellen, als ihnen auszuweichen.
Diese Ikonographien und die Inszenierungen folgen dabei seiner Ansicht nach ganz klaren Regeln:
Es hat sich in den Bildsprachen – also wie kommunistische Führer dargestellt wurden – so etwas hergestellt, was eigentlich vor-demokratisch – vor-sozialistisch sowieso – ist. Der großer Führer, der sein Volk in die glorreiche Zukunft führte.
Durch biographische Filme ist die Legitimation der großen kommunistischen, sozialistischen Führer inszeniert worden.
Wir haben einen Film über Ulbricht zum Beispiel. Wo das Interessante ist, dass dieser Lebensweg, also der Mammutanteil dieses Films und der Erzählung dieses Films darin besteht, sich einen persönlichen Lebensweg und eine politische Biographie eins zu eins zurechtzureimen.
Aber nicht nur einflussreiche, große Männer kommen in der filmischen Darstellung des Kommunismus vor.
Die Geschichte des Kommunismus war nicht nur die Geschichte von weißen Männern, sondern es gibt eine Reihe von Frauen und es gibt auch eine Reihe von entweder Frauen oder Männern anderer Hautfarben, die in dieser Geschichte eine Rolle gespielt haben, auch weil der Kommunismus eben irgendwann mal auch ein Exportgut war – so in Länder der damaligen Dritten Welt. Und wie hat sich eigentlich der Kommunismus dargestellt, oder das kommunistische System, oder der kommunistische Machtanspruch, wenn da so eine Reise über Ländergrenzen und über Zeiten hinweg stattgefunden hat? Das wollten wir befragen. Das war, na ja, so eine Befragung von Bildpolitiken.
Ralph Eue und sein Team wollen den Kommunismus weder glorifizieren noch kleinreden. Sie wollen die Auseinandersetzung und die Diskussion fördern. Handelt es sich doch beim Kommunismus um eine der historisch wichtigsten Perioden des 20. Jahrhunderts.
Ich kann mich erinnern, in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre, dass da etwas im Autoradio gekommen ist – eine Gesprächsrunde – wo dann die Rede davon war, dass die Geschichte des Kommunismus eigentlich nur eine Fußnote gewesen war. Dann kann ich mich erinnern – letzten oder vorletzten Sommer – wie ich so einem Plakat begegnet bin von so einer kommunistischen Jugendbewegung – MARX IS‘ MUSS! Also wo das praktisch so als Slogan so behauptet worden ist. Ich würde aber gerne schon dieses Phänomen Kommunismus so angucken, dass man es weder als Fußnote noch als Headline betrachtet, sondern als: Was ist eigentlich der Text gewesen?
Auch das Festival selbst stand immer unter dem Verdacht, selbst ein Sprachrohr kommunistischer Propaganda zu sein. Es habe aber immer auch das politische Weltgeschehen der Zeit thematisiert, betont der Historiker Andreas Kötzing:
Man würde dem Festival nie gerecht werden, wenn man es auf diese ideologische Komponente reduziert. Das hat auf der anderen Seite ja auch immer wieder Handlungsspielräume eröffnet. Ich finde das sehr interessant, dass das Festival dann zum Beispiel versucht hat, Schwerpunkte zu setzen, die sich dann mit dem politischen Auftrag ganz gut haben vereinbaren lassen. Filme über den Vietnam Krieg passten ganz gut ins Konzept. Es war aber auch wichtig, dass diese Filme auf großer Leinwand vor internationalem Publikum gelaufen sind – später in den 70er Filme über Militär-Diktaturen in Lateinamerika.
Zum 60. Geburtstag des Festivals steht also nun im Jahr 2017 die Bildästhetik des Kommunismus im Mittelpunkt der Retrospektive. 100 Jahre Oktoberrevolution sind auch 100 Jahre kommunistische Bildsprache. Dabei sehen sich die Macher durchaus in der Tradition der Analyse von Marx. Demnach ereignen sich geschichtliche Ereignisse nicht nur einmal, sondern mindestens zweimal. Einmal als Tragödie, ein weiteres Mal als Farce.