Dass es das letzte Interview vor dessen Tod sein würde, wusste Monopol-Redakteurin Saskia Trebing nicht, als sie Christo Mitte Mai per Telefon erreichte. Anlass für das Gespräch war das 25-jährige Jubiläum des verhüllten Reichstags. 1995 war das Gebäude zwei Wochen lang eingepackt, rund fünf Millionen Menschen kamen, um es anzuschauen.
Kunstwerk im kollektiven Gedächtnis
Um Massen sei es ihm und seiner Frau Jeanne-Claude aber nie gegangen, betonte Christo. Für sie war die hauptsächliche Arbeit, einen Ort zu finden, der sie interessiert, der schon eine Geschichte mitbringt. Und schließlich auch den langen Weg der Bürokratie, Genehmigungen und Sicherheitsvorkehrungen zu bestreiten, war Teil ihrer Kunst. Bis der Reichstag verhüllt werden konnte, vergingen mehr als zwanzig Jahre, drei Bundestagspräsidenten lehnten das Vorhaben ab.
Dass der Ort zum Symbol der Wiedervereinigung werden würde, konnte Christo nicht vorhersehen. Ihn interessierte in den 60er-Jahren, dass in Zeiten des Kalten Krieges in Berlin Ost und West aufeinanderprallten.
Von wegen Massen – Kunst ist zu exklusiv!
Das Verhältnis von Kunst und Massenpublikum beschäftigt auch den Autor Oliver Koerner von Gustorf. Er findet, dass Projekte wie die von Christo eine Ausnahme sind.
Insgesamt sei die Kunstwelt viel zu exklusiv. Die wirklich entscheidenden Szenen spielten sich in geschlossenen Kreisen ab, bevor Ausstellungen für das gemeine Publikum eröffnet werden. Und viele der einflussreichen Menschen seien Superreiche, die jegliche Bodenhaftung verloren hätten.
Er sieht in der Corona-Krise eine Chance für einen radikalen Neustart in der Kulturpolitik: Er schlägt vor, Kunst als „Commons“ zu etablieren. Was genau Oliver Koerner von Gustorf damit meint, schreibt er in seinem Essay für Monopol und bespricht er im Podcast mit Sara Steinert.