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Photo: Mark Fear | All Rights Reserved

Piratensender auf Mittelwelle

Radiorevolution von der Nordsee

Heute Abend wird die Mittelwelle in Deutschland abgeschaltet. Dann ist auf dem AM-Band nichts mehr zu hören. Die Mittelwelle wird heute kaum noch genutzt, aber in den 1960er und 1970er Jahren hat hier eine Radiorevolution stattgefunden. Sender wie Radio Nordsee International (RNI), Radio Veronica oder Radio Caroline haben das Radio verändert. Eine Rückschau auf die goldene Zeit der Piratensender.

Piratensender verändern das Radio

Heute endet für Radiofreunde eine historische Zeit, denn die Mittelwelle wird abgeschaltet. Die letzten deutschen Sender werden heute abgeschaltet. Ab Mitternacht ist aus Deutschland nichts mehr zu hören. Die Mittelwelle auch AM genannt ist der Anfang des Radios. Die Mittelwelle steht aber auch für eine andere Revolution. Denn in den 1960er und 1970er Jahren haben die Piratensender auf der Nordsee die Radiolandschaft ordentlich aufgemischt. Ihre frische und unverkrampfte Art Radio zu machen, hat eine ganze Generation beeinflusst und das Radio verändert.

Großbritannien und Niederlande als Pioniere

Zu den bekanntesten Piratensendern zählen Radio Nordsee International (RNI), Radio Veronica oder Radio Caroline. Die Macher haben sich einfach Boote besorgt, sind mit ihren Lieblingsplatten und einem starken Sendemasten auf internationale Gewässer gefahren und haben ihr Lieblingsradio gemacht. Herausgekommen ist ein begeisterndes Programm, welches in vielen europäischen Ländern begeisterte Fans hatte.

Bilder von Radio Nordsee International

Alle Bilder der Diashow stammen von Douwe Dijkstra. Sie sind in The Offshore Radio Archive veröffentlicht. Sämtliche Bildrechte gehören Douwe Dijkstra.

Piratensender als Teil der Popkultur

Die Piratensender gehören mittlerweile zur westlichen Popkultur. Filme wie „Piratensender Powerplay“ mit Thomas Gottschalk und Mike Krüger oder „Radio Rock Revolution“ über Radio Caroline in den 1960ern haben heute Kultstatus.

Über diese spannende Episode der Radio-Geschichte berichtet der diplomierte Radiojournalist und gelernte Studiotechniker Joachim Dresdner in seinem Feature: Beat-Generation und Piratensender.

Joachim Dresdner - hat selbst Radiotechnik gelernt.

hat selbst Radiotechnik gelernt.
Die Mittelwelle hatte vor 50 Jahren ihre vielleicht schönste Zeit!Joachim Dresdner

Das Feature zum Mitlesen

Die Beat-Generation der 1960er Jahre kaufte Singles, kleine Schallplatten mit nur einem Hit auf der A- und einem auf der B-Seite. Das Taschengeld reichte kaum für eine Langspielplatte mit zweimal 20 Minuten Musik.

Und so kam es, dass die Mittelwelle vor 50 Jahren ihre vielleicht schönste Zeit hatte. Da gab es Sender, die spielten Pop-Musik! Stundenlang. Beatles, Stones, überhaupt alle neuen Bands!

Auf Mittelwelle 1493 KHz tönte Radio Caroline, das erste Privatradio in Großbritannien! Caroline war für die Entwicklung der Popmusik in den 1960er Jahren von zentraler Bedeutung, wo sonst konnte vor 50 Jahren die aufkommende Popmusikindustrie ihre Ware, ihre Hits, bekannt machen?
Weil in den 1960er Jahren private Sender in Großbritannien nicht erlaubt waren, lag das Caroline-Schiff drei Meilen vor der Küste der Grafschaft Essex. Caroline kam auch ins Kino, als Vorlage für den Film „Radio Rock Revolution“.

1965 gab es weder Musik-CDs, noch Kassettengeräte, keine Musikvideos und kaum ein Telefon pro Haushalt. UKW-Empfänger waren als mit Röhren bestückte Standgeräte eine Zierde in Wohnzimmern. Sie erreichten eine hohe Wiedergabequalität, wenn auch anfangs in Mono.

Die ersten Taschenradios – mit Monowiedergabe – waren auf das Mittelwellenband von 540 bis 1600 kHz beschränkt. Höhere Frequenzen erreichten die ersten Serientransistoren (Germanium) nicht.

Es gab „Akkord-Peggie“ ab 1957 im Westen und „Sternchen“ ab 1959 im Osten (DDR) und in jedem Jahr bessere, erschwingliche Modelle.

Auf Mittelwelle 1137/38 kHz sendete „Wonderful Radio London (Big L)“, neben Radio Caroline der erfolgreichste Piratensender, der im Vereinigten Königreich zum Image der „Swinging Sixties“ beitrug.

Wie viele andere Piraten sendete Big L. von einem Schiff in der Nordsee, ebenfalls vor der Küste von Essex und außerhalb der englischen 3-Meilen-Zone, außerhalb jeder Regierungskontrolle als offshore-radio.

Big L. wurde von jungen Leuten gern gehört, wegen der neuesten Pop-Musik. Die Jingles und die ungewohnt lockere Art der Moderation waren weitere Erfolgsfaktoren.
So gab es – vor 50 Jahren – auf der Mittelwelle viele englischsprachige Sender, die aktuelle, „spritzige“ Titel spielten. Jugendliche bastelten eigene Hitlisten, die auf dem allerneusten Stand sein mussten, lernten englisch nicht nur in der Schule, sondern auch bei Seesendern wie Radio Caroline, Radio Northsea International, oder Radio London– anfangs ohne zu wissen, dass die Sendungen von Schiffen auf der Nordsee kamen. Sie lernten die Namen der meisten „Beatgruppen“ und Plattentitel auszusprechen und aufzuschreiben. Manche fuhren extra an den Nordseestrand, um ihren „Piraten“ gut hören zu können.

Radioempfänger hatte die mobile Flower-Power-Jugend, und die Piratensender. Im greisenhaften Deutschland West wie Ost gab es zu wenig Sender, die mehr als einmal wöchentlich eine Stunde aktuelle Rock- und Popmusik im Programm anboten. Es sah traurig aus:

Deutschlandfunk: Der aktuelle Plattenteller, Mo, 20:15-21:00 Uhr, einige MWs
RIAS Berlin: Die Schlager der Woche, Mo 20:00-21:00 Uhr, Mittelwelle 989 kHz mit 300 kW Europawelle Saar: Hallo Twen, Mo ab 18:05 Uhr mit Manfred Sexauer (1.421 kHz, Sendeleistung:1,2 MW.) Der amerikanische Soldatensender AFN spielte auf MW 935 kHz eine Stunde: „The Beat goes on“. Die BBC sendete freitags um 21.45 Uhr: „Hit 66“, dann „Hit 67“, auf 1260 kHz.
Und „Radio Luxemburg“? „Sprecher“ wie Frank (Elstner), (Dieter) Thomas (Heck), oder Camillo Felgen setzten auf Mittelwelle 1440 kHz Maßstäbe im Unterhaltungsrundfunk.

Doch: „Die großen Acht“, „Die Hitparade“ und „Der fröhliche Wecker“ hinkten der aktuellen, englischen Musik oft hinterher. Die gab es bei Tony Prince auf „Radio Lucky Luxembourg“, abends, nach dem deutschsprachigen Programm!
Manche die tags Luxemburg hören wollten, rutschten auf der Skala etwas weiter und fanden die TOP 40 von „Radio Nordsea International“!

Im Sommer 1967 trat das britische Anti-Seesender-Gesetz in Kraft: aus war‘s mit der Piraterei! Die Frequenzen wurden mit Störsendern belegt. Sieben Jahre später mussten die Konkurrenten „Radio Northsea International“ und „Radio Veronica“ die sich gar mit Brandanschlägen hart bekämpften, ihren Sendebetrieb vor der holländischen Küste einstellen.
Die niederländische Regierung setzte 1974 ebenfalls ein „Anti-Piraten-Gesetz“ in Kraft. Doch fast alle Piraten sind heute „onAir“! Offiziell, im Internet.

Die Radio-Begeisterung der Macher reicht bis heute und MUSIK ist genug da!

Auf „Radio Caroline“ sendet Tony Paul jeden Morgen „Breakfast from L.A.“ Cliff Osbourne verließ „Radio Caroline“ vor einigen Jahren, um ein eigenes Internetradio zu betreiben.

Big L. bietet jeden Morgen „Suzis Brunch“ richtig flott, die Neue, und: “Paul Jones comes aboard the good ship Big L. every Sunday”. Sonntagmittag, zwei Stunden Hits der 50er, 60er und 70er.

Roger Kirk von „Radio Northsea International“ –RNI- starb 2013 und hinterließ seine umfangreiche Doku-Reihe über die Geschichte der Seesender.

Hardy Schracke sendete in den USA, Italien und bei RNI. Dort ist er jetzt für den deutschsprachigen Service, immer donnerstags, verantwortlich und für seine eigenen drei Shows: früh, mittags und abends. 250.000 Titel hat Hardy in seiner Musikrotation!

© Joachim Dresdner / 2015

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