Für Buchliebhaber und solche, die es gerne wären, ist der Urlaub auch immer Lesezeit. Am Strand finden wir endlich die Ruhe für den 1000-Seiten-Wälzer der Saison. Für diejenigen, die sich an den heimischen Balkon halten müssen, kann der Roman ein Ausflug in eine fremde oder ferne Welt sein. Lesebegeisterte mit Fernweh hingegen können in ihren Lieblingsbüchern die Anregung für den nächsten Urlaub finden.
Literaturtourismus: Einmal in den russischen Alltag
Das Buch „Eine Reise nach Petuschki“ von Wenedikt Jerofejew war einer der beliebtesten Romane der sowjetischen Untergrundliteratur der 1970er-Jahre. Der Protagonist, der ebenfalls Wenedikt Jerofejew heißt, entschließt sich nach Petuschki zu seiner angeblichen Geliebten zu fahren.
Er stellt sich vor, wie sie mit langen roten Zöpfen und langen Wimpern am Bahnhof auf ihn wartet. Er steigt in die Bahn und betrinkt auf der Fahrt beinahe besinnungslos. So wird die Fahrt zu einer surrealistischen Odyssee mit Dämonen und anderen Fabelwesen, die ein und aussteigen. Am Ende fährt Jeroejew zurück nach Moskau und wird dort überfallen. Seine Geliebte hat er nie getroffen.
Die Vorortzüge sind ein elementarer Bestandsteil im Alltag vieler Russen, die in Moskau arbeiten. Die russische Hauptstadt ist eine der teuersten Städte der Welt. So pendeln jeden Tag Tausende zum Teil mehrere Stunden zur Arbeit. Mit einem Vorortzug kann man in zwei Stunden von Moskau auch die Kleinstadt Petuschki erreichen. Der Reisende erhascht mit dieser Fahrt einen Blick in den Alltag vieler Russen.
Das war eigentlich eine ganz normale russische Stadt, aber ich habe sie anders gesehen. Ich habe sie gesehen als Ruhepol. Ich bin da ein bisschen spazieren gegangen und habe mir einen Kaffee geholt. Es klingt nicht nach viel, aber ich erinnere mich immer noch sehr gerne an diesen Ausflug. – Laila Oudray, Redakteurin detektor.fm
Eine Fahrt quer durch Deutschland
Viele reisen in die unterschiedlichsten und abgelegensten Ecken der Welt. Dabei kennen sie Deutschland viel besser. Mit einem Roman kann man Deutschland von Norden bis Süden erleben: Faserland.
Christian Krachts Roman handelt von der Reise eines namenlosen Ich-Erzählers, Sohn reicher Eltern, der einmal von Norden nach Süden durch Deutschland fährt. An jedem seiner Haltepunkte wird er Zeuge exzessiver Partys mit viel Alkohol, vielen Drogen und viel Sex. Doch es ist kein leichtlebiger Hedonismus, der sich in den Exzessen zeigt, sondern blanke Hoffnungs- und Orientierungslosigkeit. Der Protagonist erlebt diese Dekadenz seiner Generation und registriert auch seinen eigenen Niedergang. Das Ende ist offen. Mit diesem Roman hat Christian Kracht in den 1990er Jahren die deutsche Popkultur begründet.
Die Route des Protagonisten, also nur die Reiseroute, nicht die des Lebens, eignet sich gut, um ihr nachzureisen. Sie beginnt in Sylt, dann geht es weiter nach Hamburg, dann Frankfurt, Heidelberg, München, Meersburg am Bodensee und schließlich verlässt man doch Deutschland und fährt nach Zürich. Alles spannende Städte und Orte, die man durchaus mal gesehen haben sollte.
Tipps für den Literaturtourismus
Wer einem Roman hinterherreisen will, sollte sich im Vorfeld um Visa, Flüge und Unterkünfte kümmern. Mit ein bisschen Recherche kann man herausfinden, ob es vielleicht geführte Touren zu den verschiedenen Orten gibt. Wenn ein bekannter Roman in nur einer Stadt spielt, ist die Chance vorhanden. Vor allem sollte man sich aber nicht zu sehr auf den Roman fixieren. Wer mit den Erwartungen reist, alles so zu erleben, wie es im Roman beschrieben steht, wird enttäuscht.
Außerdem sollte man sich vor Augen führen, dass sich Städte und Länder weiterentwickeln und verändern. Wer mit Hemingways „Paris – ein Fest für‘s Leben“ nach Paris reist und erwartet alles so vorzufinden wie Hemingway das vor 90 Jahren beschrieben hat, der wird nicht glücklich werden. Vielmehr sollte man Romane als Inspiration wahrnehmen, eine neue Stadt oder ein neues Land zu sehen und den Rest auf sich zukommen lassen.
Die besten Bücher für den Sommer
Dass Urlaubszeit immer auch Lesezeit bedeutet, beweisen auch in jedem Jahr die Feuilletons und Literaturredaktionen. In den frühen Sommermonaten, zwischen Ende Juni und Anfang Juli erscheinen in jeder Zeitung und Zeitschrift Sonderseiten mit den „Besten Büchern für den Sommer“. Dabei geht es jedoch nicht zwingend um den Sommer: Cornelia Geißler von der Berliner Zeitung meint, ein Buch aus Finnland kann in der warmen Zeit für Abkühlung sorgen. Der Literaturspiegel konzentriert sich auf Strand und Meer und Meike Schnitzler, Literaturredakteurin bei der Brigitte, sucht für das Fernweh internationale Titel aus.
Doch letztlich scheint jedes Buch seine Berechtigung auf der Liste zu haben. Im Gegensatz zu den Literatur-Specials im Rahmen der Buchmessen oder üblichen Literaturseiten, geht es bei den Sommerbüchern allerdings nicht um Debatten, sondern wirklich um Empfehlungen. Denn auch den Kritikern ist die angespannte Situation auf dem Buchmarkt bewusst.
Bücher sind im Wettlauf um die Zeit der Menschen. Die Leute lesen weniger und nur noch ältere Generationen haben Zeit und lesen wirklich viel. Urlaub ist da eine klassische Lesezeit, jetzt habt ihr Zeit zum Lesen, deswegen machen wir eher Empfehlungen. – Iris Radisch, Kritikerin bei der ZEIT
Einmal Held sein
Die letzten beiden Male stand der Strand im Mittelpunkt. Wir haben nach euren Urlaubsbüchern gefragt und gemeinsam eine Geschichte vom Strand erzählt, die übrigens noch nicht ganz fertig ist. Sendet also gerne weitere Sätze.
In der nächsten Ausgabe geht es dann um Computerspiele. Vielleicht fragt ihr euch, was das in einem Literaturpodcast zu suchen hat. Dann hört auch beim nächsten Mal rein und erzählt uns vorher, welches Buch ein Videospiel sein sollte. Welche Romanwelt wollt ihr gerne mal durchstreifen, welchen Romanhelden verkörpern, welche Reise selbst absolvieren? Antwortet uns per Audio-Nachricht, via Facebook, Twitter oder per E-Mail an literatur@detektor.fm.