Zensur oder Sexismus?
Ein Gedicht, das es auf die Titelseiten der Tageszeitungen schafft, hat Seltenheitswert. An der Fassade der Berliner Alice-Salomon-Hochschule hängt seit 2011 das Gedicht „avenidas“ des Schriftstellers Eugen Gomringer. Der hat 2011 den Poetikpreis der Hochschule gewonnen und der Hochschule daraufhin das Gedicht geschenkt. 2016 kritisierte der Studierendenausschuss der Hochschule (AStA) in einem offenen Brief, dass Gedicht sei sexistisch und forderte die Entfernung.
Dieses Gedicht reproduziert nicht nur eine klassische patriarchale Kunsttradition, in der Frauen ausschließlich die schönen Musen sind, die männliche Künstler zu kreativen Taten inspirieren, es erinnert zudem unangenehm an sexuelle Belästigung der Frauen alltäglich ausgesetzt sind. – Auszug aus dem Brief des AStA
Massive Kritik
Die Forderung des AStA ist auf massive Kritik gestoßen. Die Tochter von Eugen Gomringer, die Schriftstellerin Nora Gomringer, schrieb in der Tageszeitung Die Welt:
Geopfert werden dabei: die Autonomie eines Kunstwerkes, der Ruf eines Dichters, der droht zum Sexisten diffamiert zu werden und eine Hauswand. – Nora Gomringer
Der bolivianisch-schweizerische Dichter gilt als Begründer der Konkreten Poesie. Er hat das Gedicht 1951 auf spanisch verfasst. Auch auf der Fassade ist das Gedicht in Spanisch angebracht. Nun soll die Fassade saniert werden und das Gedicht gleich mit weichen. Das hat der Akademische Senat der Hochschule beschlossen und gleich noch entschieden: In Zukunft wird alle fünf Jahre ein anderes Gedicht an der Fassade zu sehen sein.
Im Gespräch mit detektor.fm-Moderator Claudius Nießen ordnet taz – die tageszeitung Redakteurin Dinah Riese die Debatte zwischen Sexismus- und Zensurvorwürfen und plädiert für eine ausgewogene Betrachtung der Argumente.