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Ein Meister des Storytelling: Neil Hannon von The Divine Comedy. Foto: Pias
Ein Meister des Storytelling: Neil Hannon von The Divine Comedy. Foto: Pias

Album der Woche: The Divine Comedy – Foreverland

Ehrliche Songs für die bessere Hälfte

Sechs Jahre ist Neil Hannon, Master-Songschreiber von The Divine Comedy, anderweitig beschäftigt gewesen: Er hat unter anderem ein Seeräuber-Musical für Kids, eine Kammeroper und ein zweites Album über Cricket geschrieben. Jetzt gibt es endlich eine neue Platte von The Divine Comedy namens „Foreverland“.

“Storytelling” ist ja seit einiger Zeit das Lieblingsschlagwort aller digitalen Trendscouts. Neil Hannon ist diesem Trend schon seit Jahrzehnten voraus – und er ist verdammt gut darin. Seit mehr als 20 Jahren erzählt er auf den Alben von The Divine Comedy absurde und ergreifende Geschichten und setzt in seinen Songs kuriose und exzentrische Charaktere mit Herz und Witz in Szene. Seine elfte Platte, Foreverland, ist in dieser Hinsicht klassisches Divine-Comedy-Territorium.

Es gibt auf meinen Alben eigentlich immer einen durchgehenden Erzählstrang, selbst wenn der nur in meinem Kopf existiert. Die neue Platte hat aber eine ziemlich klare Chronologie, die ziemlich genau die letzten sechs Jahre meines Lebens zusammenfasst.

Auch musikalisch lässt das Album für Hannon-Fans keine Wünsche offen, es wird erwartungsgemäß dick aufgetragen. Alles klingt angemessen opulent und orchestral: Streicher, Bläser, das komplette Programm. Und immer wieder kommen auch die unterschätzten Instrumente der Popmusik zu einem verdienten Auftritt, über extensiven Banjo-Einsatz darf man sich also auch auf Foreverland freuen.

Meister des perfekten Lovesongs

Bei aller Theatralik ist man allerdings nie ganz abgelenkt davon, dass in den meisten Songs doch ein bisschen mehr Hannon steckt, als ihm selbst vielleicht lieb ist. Für allzu öffentliche Gefühlsduselei ist der Mann zu britisch. Die ganz großen Gefühle werden also vorsichtshalber mit smarter Wortspielerei und Ironie abgeschwächt. Dabei ist Neil Hannon ein Meister des perfekten Lovesongs und hat über die Jahre einige ganz zauberhafte Liebeslieder auf seinen Platten versteckt. Foreverland erweitert diesen Kanon nochmal um einige Stücke. Der Albumtitel selbst ist Hannons aktuelle Metapher für den erfreulichen Zustand zufriedenen Angekommenseins in einer glücklichen Beziehung.

Der Titel ‚Foreverland‘ ist mir eingefallen, als ich gerade an diesem Song schrieb. Es ging erst mal nur um diesen Ort, den wir alle irgendwie im Leben erreichen wollen. Wie genau der aussieht, ist bei jedem anders, es kann ein mentaler Zustand sein, ein realer Ort oder auch eine Beziehung. Der Song handelt jedenfalls von der Suche danach.

Die besungene Weltgeschichte dient auf Foreverland als perfekte Tarnung für das private „happy ever after“. Wenn Neil Hannon Katharina der Großen also ein Song-Denkmal setzt mit Catherine The Great, dann gilt die euphorisierte Liebeserklärung eben nicht ausschließlich der russischen Kaiserin.

Ich sollte vielleicht erwähnen, dass meine Freundin Catherine heißt – sie macht also schon mal 50 Prozent des Songs aus. Es ist eine ziemlich ausgewogene Mischung aus meiner besseren Hälfte und der echten Katharina der Großen.

Wer flieht, verkleidet sich als Nonne

Man muss sich ein bisschen auf den Hannon’schen Humor einlassen, um Foreverland richtig würdigen zu können. Allein die Assoziationsketten, die ihm selbst den Zusammenhang zwischen den einzelnen Songs völlig logisch erscheinen lassen, sind nicht immer sofort nachzuvollziehen. Für Neil Hannon hat die Platte jedenfalls eine absolut stringente Hintergrundhandlung, die einen narrativen Bogen schlägt vom Opener Napoleon Complex über Catherine The Great hin zu A Desparate Man.

Ich bin mir nicht ganz sicher, was mit dem Typen aus „Napoleon Complex“ passiert ist, irgendwie ist er inhaftiert worden und jetzt auf der Flucht. Er versucht, zurück zu Katharina der Großen zu kommen – und natürlich flieht er getarnt als Nonne. Das ist einfach immer so – wer fliehen muss, verkleidet sich als Nonne.

Wem das nicht so ganz schlüssig erscheint, der kann sich genauso gut eine eigene wilde Geschichte ausdenken, ob und wie die zwölf Songs auf Foreverland miteinander in Zusammenhang stehen. Am sympathischsten sind die Stories immer dann, wenn der absurde Divine-Comedy-Kosmos so weit in den Hintergrund tritt, dass man das „Ich“ im Text direkt als Neil Hannon erkennt. How Can You Leave Me On My Own ist einer dieser geradezu unverantwortlich ehrlichen Momente auf dem Album.

Das ist vermutlich der ehrlichste Song, den ich jemals geschrieben habe. Wenn meine Freundin nicht zu Hause ist, fange ich nicht unbedingt an, Tolstoi zu lesen oder einen fremdsprachigen Film zu gucken. Wenn du phasenweise so alleingelassen wirst, fällst du quasi in dir zusammen, weil dir niemand mehr sagt, was du machen sollst. Du verwandelst dich in einen Kneteklumpen auf dem Sofa.

Seufzen erlaubt

Hand hoch, wer sich darin nicht auch ein Stück wiedererkennt. Foreverland verwandelt an genau diesen Stellen sogar banalen Beziehungsalltag in etwas Besingenswertes und dürfte damit die perfekte musikalische Bestätigung sein für Träumer und unverbesserliche Romantiker.

Dieses Album verspricht, dass Foreverland irgendwo da draußen ist, für jeden von uns. Vielleicht sogar für Zyniker, die nicht mehr an große, echte Gefühle glauben wollen. Allein diese Aussicht hilft ein kleines bisschen dabei, wieder weich zu werden. „Everybody thinks it’s all lies – until they can see Foreverland”. Seufzen erlaubt.

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