Dienstagabend in einer Berliner Bar. Auf einer kleinen Bühnen spielt eine Band Musik, die direkt aus einem Grammophon der 20er Jahre stammen könnte. Fünf Paare wirbeln über die Tanzfläche. Mal halten sie sich an den Händen, mal schwofen sie lässig nebeneinander, die Arme über den Rücken des Tanzpartner gelegt.
Lindy Hop heißt das, was sie hier tanzen: Das ist Swing mit akrobatischen Einlagen. Springen, werfen, drehen, wirbeln – Lindy Hop ist der flippigste unter den Swingtänzen. Wie jeden Dienstag ist Swingabend in der Bar und jede Woche wird die Tanzfläche schneller voll. Swing boomt derzeit in vielen deutschen Städten. Aber woran liegt das? Was ist das besondere an diesem Tanz?
Die Musik ist toll, es ist völlig entspannt zu tanzen, man kann es frei interpretieren und ist nicht festgelegt auf Tanzschritte, wie beim Walzer oder Tango.
Also wenn man speziell hierher kommt, dann ist der Eindruck der Leute, die hier zusammenkommen sehr angenehm: Sympatisch, gute Atmosphäre, entspannt und das macht einfach total Spaß.
Ich liebe die Musik und die Atmosphäre und mag, dass die Leute hier zusammen kommen und miteinandertanzne, ganz eng und schnell. Und obwohl alle wissen, dass das nur für den Tanz ist und weil alle Swing lieben. Und das teilen wir und schaffen es zusammen.
Swing ist der Überbegriff für viele verschiedene Tänze. Neben dem akrobatischen Lindy Hop gehören auch der langsamere Blues dazu und der enger und schneller getanzte Balboa. Swing entstand Ende der 20er Jahre in den Ballsälen New Yorks. Dort tanzte zunächst vor allem die afroamerikanische Bevölkerung. Aber gerade Lindy Hop fand schnell Aufmerksamkeit auch über New York hinaus und wurde zu einem richtigen Showtanz: extrovertierter und energiegeladener. Im zweiten Weltkrieg brachten amerikanische GIs die Tänze zuerst nach Schweden, von wo sie sich nach ganz Europa ausbreiteten.
Duc Dang ist Tanzlehrer in einer Berliner Swingschule. Der Hype um Swing hat vor etwa drei Jahren wieder begonnen, sagt er.
Swing hat auf der ganzen Welt einen richtigen Boom erlebt und Berlin besonders. Vor sechs Jahren gab es nur vereinzelt Swingevents, mittlerweile haben wir jeden Abend mindestens zwei Veranstaltung.
Swing wird wieder populär, weil er so viel Spaß macht, glaubt Duc Dang und weil die Swing-Tänze viel ungezwungener sind, als zum Beispiel die Standard oder die lateinamerikanischen Tänze. Im Gegensatz zu Walzer, Salsa und Tango wird Swing viel freier getanzt. Die klassischen Geschlechterverteilungen – Mann führt, Frau folgt – gelten im Swing schon lange nicht mehr. Längst sind auch Frauen sogenannte Leader. Was auf der Tanzfläche passiert, ist reine Improvisation. Es gibt zwar feste Schrittfolgen und Figuren, aber die muss man nicht unbedingt können, um mitzutanzen, sagt Dang.
Es gibt unendlich viele Figuren, letztlich kommt es darauf an, welche Filetstücke du dir rauspickst. Aber du kannst auch immer wieder auf der Tanzfläche neue Figuren erfinden, weil es keine Grenzen gibt beim Tanz.
Auch in der elektronischen Musik erlebt Swing gerade einen Boom. Electroswing heißt das dann: Clubmusik mit Swingsamples. Einer, der schon seit Jahren Swing in seine Elektro-Sets mischt, ist der Berliner DJ Alle Farben. Seit drei Jahren legt er damit auf. Auch er beobachtet, dass in den letzten Monaten die Parties immer beliebter und voller werden. Dabei gibt es den typischen Elektroswing gar nicht, sagt er.
Französischer Elektroswing ist eher Breabbeats und hektischer und schneller. Dann kommen viele Einflüsse aus dem Hip Hop. Das sind Hip Hoper, die elektronischer werden und Swingsamples benutzen. Das geht bishin zu Technosamples. Was jetzt auf den Plan tritt, geht eher in die housige Richtung.
Swing eignet sich deswegen gut in Kombination mit Techno, weil es schon immer Tanzmusik war, sagt Alle Farben. Das Publikum bei seinen Elektroswingparties ist gemischter als sonst im Club. Denn Swing, und das beobachtet auch Lehrer Duc Dang, ist nicht nur Tanz, sondern geht mit einer ganzen Nostalgiewelle und dem Spaß am Verkleiden einher.
Beim Swing wird schon sehr viel Wert gelegt auf Tanz, aber auch auf authentische Kleidung: Bei Männer der Anzug und bei Frauen ist charakteristisch die unglaubliche Vielfalt an Frisuren udn Haarpracht. Es gibt so viele Workshops, wie man sich schminkt und sich die Haare zurecht macht, mit Wasserwellen, Locken…
So sieht das auch beim Swingabend in der Berliner Bar aus: Einige Männer sind im Anzug oder mit Hosenträgern gekommen, manche Frauen tragen lange Kleider, eine Blume im Haar oder sind auffällig geschminkt. Der Großteil der Tänzer und Tänzerinnen sieht aber aus, wie in einer gewöhnlichen Kneipe, an einem gewöhnlichen Dienstagabend. Swing im Jahr 2012 ist also all das: alte und neue Musik, Vintagekleider und Straßenjeans, feste Schritte und Improvisation.