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Eric Pfeil
Foto: Alfred Jansen

Keine Angst vor Hits | Bonus: Italo Pop mit Eric Pfeil

Drei bis fünf Campari

Gelato, Amore, Sonne, Strand: Seit jeher kommt in Deutschland keine Generation ohne Italien-Sehnsucht aus. In Keine Angst vor Hits erklärt der Autor Eric Pfeil, warum Musik der Schlüssel ist, um Land und Leute besser kennen zu lernen. Ein Gespräch über Klischees, Pathos und vermeintliche Gegensätze.

Für immer bella musica

Seit seiner Kindheit ist Eric Pfeil angetan von der italienischen Popkultur. Mit Musik beschäftigt sich Pfeil ohnehin beruflich: Er war Produzent und Kopf der kultigen Viva-2-Sendung Fast Forward mit Charlotte Roche – vermutlich die beste Sendung, die das deutsche Musikfernsehen jemals fabriziert hat. Er schreibt für das Musikmagazin Rolling Stone die Kolumne „Pop-Tagebuch“, die schon 2009 bei der FAZ gestartet ist und auch schonmal in Buchform veröffentlicht wurde („Komm, wir werfen ein Schlagzeug in den Schnee“, 2010 KiWi). Und Pfeil macht selbst Musik – nicht nur solo, sondern auch mit der Gruppe Die Realität. Die schockierenden Bilder aus Italien zu Beginn der Corona-Pandemie Anfang 2020 gaben den letzten Schubs, um sich endlich ausführlich seinem Lieblingsthema zu widmen und „Azzurro. Mit 100 Songs durch Italien“ zu schreiben.

Ich machte das Radio an und da kam die Meldung von den Toten in Bergamo. Ich hörte, dass der ehemalige Orchesterleiter von Celentano gestorben war und bin in Tränen ausgebrochen. Dann habe ich drei bis fünf Campari getrunken, mich hingesetzt und angefangen, diesen Kram zu schreiben.

Crucchi Gang & Abbrunzati Boys

Ob Mina, Ricchi e Poveri oder Adriano Celentano, in Italien ist die Canzone nationales Kulturgut: vom neapolitanischen Lied über die jährlich neuen Sommerhits bis hin zu Italo Disco oder den Werken der Cantautori – den italienischen Bob Dylans mit sozialkritischen Texten. In Deutschland denkt man bei italienischer Musik meist zuerst an das Genre Italo Disco, das seit jeher polarisiert – zu kitschig und überladen finden viele die Musik, während sie in Clubs derweil ein kleines Revival feiert. Aber auch im deutschen Indie-Pop scheint eine gewisse Italophilie eingekehrt zu sein: Francesco Wilking und die Crucchi Gang übersetzen deutschsprachige Indie-Hits von Bands wie Bilderbuch auf italienisch, Roy Bianco & die Abbrunzati Boys hingegen wenden sich gezielt persiflierend dem quietschigen Italo-Schlager zu landeten damit 2022 an der Spitze der deutschen Albumcharts. Was ist also los mit der ambivalenten Liebe der Deutschen zu italienischer Musik?

Die meisten Leute, die sehr mit Musik befasst sind, hantieren mit Coolnes-Parametern: Italien ist dann entweder wahnsinnig cool, oder wahnsinnig uncool. In der Regel beides gleichzeitig. Das ist ohnehin etwas tolles an Italien – da geht immer alles gleichzeitig: erhaben und vulgär oder saucool und total uncool. Das finde ich faszinierend. 

Eric Pfeil

Eric Pfeil

Pathos bis zum Abgesang

Besser verstehen kann man den italienischen Pop mit Eric Pfeils neuem Buch (zu dem es selbstredend auch eine Spotify-Playlist gibt). Die in Songtitel unterteilten kurzen Kapitel liefern einen Abriss über die italienische Musikgeschichte: Vom belcanto, dem „schönen Gesang“, mit Nähe zur Oper, bis zur musica leggera, der „leichten Musik“, erzählt Pfeil von den Ausformungen des italienischen Pop in skurril witzigen, als auch tragischen Anekdoten und Geschichten. Da gibt es etwa Luigi Tenco, der sich 1967 nach einem gescheiterten Versuch beim Musikfestival in Sanremo ins Finale zu kommen, in seinem Hotelzimmer im Savoy das Leben nimmt. Tenco hinterlässt nicht nur einen sonderbaren Abschiedsbrief, sondern auch ein Hotelzimmer, das bis heute unvermietet bleibt. Natürlich nährt Tencos Tod seitdem auch wilde Verschwörungstheorien. Der Fall wurde im Jahr 2006 sogar noch einmal aufgerollt – ohne neue Ergebnisse zu finden.

Ein italienisches Trauma

Auch die Songtexte, die Eric Pfeil in seinem Buch immer wieder übersetzt, sind vielsagend. Im Song zum Buchtitel „Azzurro“, geschrieben von Paolo Conte und interpretiert von Adriano Celentano, träumt der Sänger von seiner Geliebten, die nicht wie er in der heißen Stadt schwitzt, sondern am Strand liegt. Nicht mal ein Priester sei da, um ein Schwätzchen zu halten, schildert Celentano die triste Situation. Was hier noch etwas bieder klingt, haben schließlich Sängerinnen wie Mina aufgebrochen: Als eine der ersten großen weiblichen Stars, war sie es, die 1960 zum ersten Mal im italienischen Pop über Sex sang – wenn auch nur angedeutet. Viele weitere italienische Musikerinnen mischten das erzkatholische Italien auf, z.B. Patty Pravo, die in den 70er-Jahren weibliche Sexualität besang oder Gianna Nannini, die 1979 mit einem Vibrator auf dem Albumcover für einen Skandal sorgte.

In dieser Bonus-Episode hört ihr außerdem, was Wolfgang Bosbach mit Pfeils Italienliebe zu tun hat, warum alte Stars in Italien lange nicht ausgedient haben und was wir vom Pathos der italienischen Musik lernen können. Unseren Musikpodcast „Keine Angst vor Hits“ samt aller Bonus-Episoden könnt ihr hier hören und abonnieren.

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