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Jeder singt den Blues – Christian Kjellvander über sein neues Album

Es gibt Stimmen, die bleiben einem im Ohr, egal wie lange man sie nicht gehört hat. Der schwedische Songwriter Christian Kjellvander hat so eine Stimme – warm, tief und eindringlich. Seit seinem letzten Album hat er sich drei Jahre Zeit gegönnt, um an neuem Material zu arbeiten. Jetzt erscheint seine neue CD, „The Rough and Rynge“. Wir haben Christian Kjellvander getroffen und mit ihm über seine Musik, das Leben an sich und den Blues gesprochen – und darüber, warum das eine nicht vom anderen zu trennen ist.

Wenn Christian Kjellvander über das Leben in der heutigen Zeit nachdenkt, dann sieht er eine Menge Dinge, die nicht so laufen wie sie sollten. Konsumzwang, Leistungsdruck, Geiz und Gier – dafür kann der Mensch nicht gemacht sein. Seine Musik ist gleichzeitig Flucht aus und Kritik an dieser Welt. Sein Song Bad Hurtn ist die perfekte Hymne für dieses Lebensgefühl.

Kjellvanders musikalisches Medium ist der Blues. Er ist das Fundament seiner Songs, selbst wenn er darauf Folk- und Country-Klänge aufmontiert.

Beim Blues geht es doch eigentlich nur darum, festzuhalten, was gerade passiert und wie es dir damit geht. Und es gibt so viele Möglichkeiten, das auszudrücken. Ein guter Song sollte niemals mehr oder weniger sein als eine wirklich spannende Unterhaltung.

Vielleicht erzählt Kjellvander genau aus diesem Verständnis heraus sehr persönliche und emotionale Geschichten mit seinen Songs. Er spricht und singt sehr offen über alles was ihm wichtig ist, was ihn als Menschen und Künstler ausmacht. Er stellt Fragen, auf die er noch Antworten sucht, betrauert Verluste, spricht seine Sehnsüchte aus.

The Rough And Rynge ist nicht nur der musikalische Ausdruck einer übergreifenden Lebensphilosophie. Das Album ist auch eine Art Dokumentation der konkreten Erfahrungen, die Kjellvander selbst gemacht hat im Zwiespalt zwischen den Anforderungen einer reizüberfluteten modernen Welt und der Sehnsucht nach Klarheit, Ruhe und Zufriedenheit auch in einfachen Dingen. Obwohl er nicht bewusst nach einem roten Faden gesucht habe, der das Album durchzieht und zusammenhält, sei doch eine klare Linie erkennbar.

Wenn es ein übergreifendes Thema bei diesem Album gibt, dann ist es der Kontrast zwischen der „rauen“ Welt der Stadt und der auf dem Land. Eigentlich müsste es ja auf dem Land viel rauer zugehen, schließlich ist man dort im Freien elender Kälte ausgesetzt oder muss Holz hacken um zu heizen – man hat ständig was zu tun. Dagegen steht diese bequeme Stadt-Welt in der wir leben, wo wir einfach ein Sandwich essen können, wenn uns danach ist und alles läuft relativ entspannt. Aber eigentlich ist es genau umgekehrt. Und das ist die Grundidee der Platte, Stadt gegen Land – deshalb heißt sie „The Rough and Rynge“.

„Rynge“ ist übrigens der Name eines alten ausgebrannten Schlosses in der Nähe von Kjellvanders Haus. Für den Umbau eines alten Waschhauses, das er jetzt als Studio nutzt, hat er Steine aus der Ruine des Schlosses verwendet. Jetzt habe er sein eigenes kleines Schloss – und genau dort sind auch alle Songs des Albums entstanden. Innerhalb von fünf Tagen hat er mit befreundeten Musikern den Großteil der Stücke aufgenommen – alle live eingespielt, für jeden Song gab es nur einen Versuch. Die Songs sollten die Atmosphäre im Studio einfangen und den Ist-Zustands festhalten, ohne Nachbearbeiten und Polieren. Eine Herangehensweise, zu der Kjellvander von seinen Lieblingsplatten inspiriert wurde.

Ich habe mir fünf Alben, die mir viel bedeuten noch einmal angehört. Platten, die ich immer wieder herauskrame, wenn ich mit einem guten Bier zu Hause sitze und mich wirklich auf die Musik konzentrieren kann. Dabei fiel mir auf, dass alle diese Platten wie Live-Aufnahmen klingen. Alle haben etwas unsauberes, nicht ganz perfektes, so eine kleine Irritation. Genau so eine Platte wollte ich auch machen – und die einzige Möglichkeit, das zu tun, war, ein Album aufzunehmen, dass man in dieser Form nicht noch einmal machen kann.


Wenn Christian Kjellvander Songs schreibt, stellt er sich gern vor, wie seine Kinder in 20 Jahren einmal diese Songs anhören – ob sie sie verstehen oder eher denken, dass seine Texte völlig unmodern und überholt sind. Letztlich müssten die Songs aber vor allem ihm etwas bedeuten und seine eigenen Ansprüche erfüllen – immerhin muss er sie jeden Abend auf der Bühne spielen. Nicht nur deswegen hat er sich mit dem neuen Album relativ lange Zeit gelassen – immerhin drei Jahre.

Es ist eine ziemlich lange Zeit – fast schon zu lang. Aber ich war noch nicht fertig mit dem Album. Ich hatte einfach nicht das Gefühl, genug zu sagen zu haben. Man kann immer eine Platte machen oder einen Song schreiben, wenn man muss. Aber irgendwie ist es genau das, was mit unserer Gesellschaft nicht stimmt – Leute tun einfach Dinge, weil sie müssen. Und dann machen sie eben mehr Sandwiches oder Autos als sie verkaufen können – und manche schreiben mehr Songs als sie verkaufen können. Ich versuche lieber unter- als überproduktiv zu sein.

Im Fall von The Rough And Rynge hat sich das Warten in jedem Fall gelohnt – sogar für den selbstkritischen Kjellvander ist es ein ganz besonderes Album geworden. Sein eigener Favorit darauf ist das vorletzte Stück, das nachdenkliche Long Distance Runner. Es hat drei Strophen, die zunächst völlig ohne Refrain auskommen und erst ganz am Ende in einem hoffnungsvollen Chorus gipfeln: Why would anyone not love the sun? / Why would anyone not praise the fun? / Why would anyone not try to choose? / Why would anyone not sing the blues?

Das ist im Grunde meine Lieblingszeile – weil sie zum einen sagt, es gibt so viele Gründe, wieso man ein bisschen deprimiert sein müsste, eben den Blues haben. Auf der anderen Seite weiß man, dass man das irgendwann auch überwindet. Das Leben ist so verdammt großartig, dass man gar nicht anders kann, als den Blues zu singen.

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