Aufwachsen in der Plattenbausiedlung
Den Rap-Fans ist Hendrik Bolz vermutlich besser bekannt unter seinem Künstlernamen Testo. Als Zugezogen Maskulin rappt Bolz mit Moritz Wilken aka grim104 seit 2010 und war auch schon in unserem Podcast Tracks & Traces zu Gast. In den Songs geht es oft um das Leben in strukturschwachen Regionen, um Drogen und Gewalt. In seinem Buch „Nullerjahre. Jugend in blühenden Landschaften“ erzählt Hendrik Bolz nun ganz konkret vom Aufwachsen in der Plattenbausiedlung Knieper West in Stralsund – in einer Welt, die zwar nicht mehr „DDR“ heißt, aber mit dem Übergang vom einen ins andere System an vielen Stellen noch zu kämpfen hat.
Gewalt, Alkohol, Drogen
Während die Erwachsenen die Suche nach einem Platz im neuen System in „Nullerjahre“ langsam aufgeben, findet Bolz mit seinen Freunden Wege aus der Langeweile: Ganz vorne mit dabei sind Alkohol und Drogen. Die helfen auch ganz gut dabei, die Lebensrealität im Viertel für einen Moment auszublenden. Während man im Wohnzimmer so viel konsumiert, bis man nichts mehr spürt, herrscht auf der Straße das Gesetz des Stärkeren. Wer da nicht mitspielt, lebt gefährlich.
Aggro Berlin statt Böhse Onkelz
Zwar treten an die Stelle der Springerstiefel in den Nullerjahren Turnschuhe, Baggie Pants und MTV liefert neue Entwürfe von Coolnes, z.B. mit Rappern wie Eminem, die Optionen bleiben in Bolz‘ Jugendjahren aber gleich: Fressen oder Gefressenwerden. Immer wieder hadert Bolz mit seinem gewaltbereiten Umfeld, unterdrückt seine Gefühle aber so lange, bis sie ihn irgendwann einholen.
Ich hatte das Pech bzw. Glück, dass ich doch nicht der Allerhärteste war und dass es bei mir nicht so gut funktioniert hat auf Dauer mit dem Wegdrücken von Gefühlen. Irgendwann haben sie sich dann Gehör verschafft und sind herausgeplatzt in Form von Panik-Attacken und Depressionen.
Verdrängte Lebenskapitel
Nach dem Abi zieht Bolz zum Studium nach Berlin. Zwar verspricht er sich vom Umzug zunächst Teil der harten Berliner Gangster-Rap-Welt zu werden, merkt aber schnell, dass es im neuen Umfeld diesmal auch wirkliche Alternativen gibt. Mit seinem Buch arbeitet Bolz ein verdrängtes Kapitel seines Lebens auf und liefert gleichzeitig eine relevante Perspektive auf die deutsche Post-Wende-Generation. Bolz, der sich auch politisch engagiert, wünscht sich vor allem einen innerostdeutschen Diskurs und mehr Aufarbeitung.
Das war mir auch ganz lange nicht klar: dass es eine Ausnahmesituation war, in die ich hineingeboren wurde.
In der Bonus-Folge von Keine Angst vor Hits erzählt Hendrik Bolz was ihn dazu bewegt hat das Buch zu schreiben, wie er heute zu seiner alten Heimat Stralsund steht und wie es war in einem Systemumbruch groß zu werden.