Neue Alben
The Notwist – Vertigo Days
Das letzte The Notwist-Album “Close to the glass” ist schon sechs Jahre her, in der Zwischenzeit waren die Gebrüder Acher aber nicht untätig: sie haben in anderen Bands gespielt (z.B. Hochzeitskapelle, Alien Ensemble), ein Plattenlabel betrieben (Alien Transistor) und auch ein jährlich stattfindendes Festival (Alien Disko) veranstaltet. Ihr Motto dabei war immer mehr „die Welt hereinlassen“, denn der zunehmende Nationalismus hat sie sehr geärgert. Das hat sich auch auf das neue Album „Vertigo Days“ ausgewirkt: viele internationale Gäste sind dabei u.a. der amerikanische Multiinstrumentalist Ben LaMar Gay oder die japanische Sängerin Saya von der Band Tenniscoats. Die Musik ist ein Amalgam aus melancholischem Pop und funkelnder Elektronik, hypnotischem Krautrock und schwebenden Balladen. Das Album ist abwechslungsreich und trotzdem unvekennbar Notwist, in seiner Wärme erinnert es an ihren Klassiker „Neon Golden“.
Arlo Parks – Collapsed in Sunbeams
Die Künstlerin Arlo Parks ist gerade mal 20 Jahre jung. Sie ist in Südwest-London aufgewachsen und halb Nigerianisch, ein viertel Chadisch und ein viertel Französisch, ihr erste Sprache war Französisch. Auf ihrem herbeigesehnten Debütalbum “Collapsed in sunbeams” singt sie aber auf Englisch. Mit ihrer weichen, tröstend-umarmenden Stimme beschreibt sie sehr empathisch alltägliche Dinge: ein streitendes Paar an der Bushaltestelle, Depression, aber auch Hoffnung. Ihre musikalischen Einflüsse reichen von Otis Redding über King Krule bis Kendrick Lamar. Die vereint sie zu einem neo-souligen Jazzpop, der ungemein erwachsen und anschlussfähig klingt.
Goat Girl – On All Fours
Der Anti-Patriarchat-Powerpop ihres Debütalbums hat Goat Girl Vergleiche mit den Pixies, Breeders oder PJ Harvey beschert. Auf dem Nachfolger „On all fours“ ist der Sound weniger rotzig, Synthies und Drumcomputer-Loops kommen verstärkt zum Einsatz. Sie haben das Kunststück geschafft, alle Stücke an einem einzigen Tag aufzunehmen, sie geradezu ineinander fließen zu lassen. Hier treffen schmächtige Gitarrenmelodien auf arpeggierte Synthie-Akkorde, einen groovenden Bass und stramme Disko-Beats. Die Songs sind ausgefeilter und detailverliebter ausgefallen, inhaltlich hagelt es heftige Kritik: ob an organisierter Religion oder kapitalistischer Ausbeutung. Den Schritt vom gehypten Newcomer auf die nächste Stufe vollführen Goat Girl mit ausgesprochener Lässigkeit.
Neu auf der Playlist
Ben Howard – What a Day
Ben Howard, englischer Singer-Songwriter, hat es schon mit Anfang 20 in den erlauchten Kreis der Künstler gebracht, die mit mehreren Platin-Schallplatten geehrt wurden. Ziemlich genau 10 Jahre ist das her. Geschmeidige Folk-Songs, die potentiell Millionen Menschen die Seele streicheln, macht er immer noch. Allerdings hat er seinen Gesangsduktus hörbar verändert. Frühe Hits wie „Keep Your Head Up“ oder „Diamonds“ wirkten ungestümer und manchmal auch doch arg herausgepresst. Mittlerweile hat Ben Howards Gesang ein wärmeres, weniger verstocktes Timbre, das bei „What a Day“ Erinnerungen an Nick Drake weckt. Der Song ist die erste Single aus dem Album „Collections from the Whiteout“, das im März erscheinen wird.
Squid – Narrator
Typischer Life- oder Motivationscoach-Satz gefällig? “Jeder schreibt seine eigene Geschichte.” Klingt für Euch nach jungen, statusgeilen Network Marketing-Fuzzis, die andere derbe übern Leisten ziehen, aber sich selbst oft genug eingeredet haben, dass das alles sauber ist? Für die junge Postpunk-Band Squid aus Brighton auch. Sie hat den oft vorhandenen Selbstbetrug im eigenen Narrativ in einen über 8-minütigen, wild um sich schlagenden Song namens „Narrator“ gegossen. Musikalische Vorbilder sind unverkennbar Bands wie Gang of Four, The Fall oder Magazine. Und die Sängerin Martha Skye Murphy, die an dem Track mitgeschrieben hat, lässt wenig Zweifel daran, dass der unzuverlässige, selbstgefällige Erzähler halt tendenziell oft ein Typ ist, der mit seiner Erzählung Dominanz ausüben möchte. „Narrator“ ist der erste Song des Debütalbums „Bright Green Field“ von Squid, das am 7. Mai bei Warp Records erscheinen wird.
Sophia Kennedy – Cat On My Tongue
Die amerikanische Sängerin und Produzentin Sophia Kennedy lebt schon seit langem im Hamburg. Hingezogen ist sie wegen des Studiums an der HfBK, aber neben dem Filmstudium hat sie sich in den vergangenen Jahren vor allem im Dunstkreis der deutschen Musikszene rumgetrieben. Sie hat das Elektropop-Duo Shari Vari gegründet, mit Carsten „Erobique“ Meyer gearbeitet und Kennedys Debütalbum, das 2017 auf DJ Kozes Label Pampa Records erschien, zählte für Pitchfork zu den 20 jahresbesten elektronischen Alben. Zuletzt hatte Sophia Kennedy 2019 mit Stella Sommer alias Die Heiterkeit ein Duett veröffentlicht. Nun widmet sie sich wieder ihrem Avantgarde- und Weird-Pop. Eingängige Melodien, zeitgeistige Produktion und lyrisch sloganhafte Wendungen bricht sie mit fast ruppig bearbeiteten, psychedelischen Einsprengseln. „Cat on my Tongue“ ist die zweite Single ihres zweiten Albums „Monsters“, das im Mai bei City Slang veröffentlicht wird.
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