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Wanda
Foto: Darryl Oswald

Keine Angst vor Hits

Averna in Alterlaa

Wanda bleiben Wanda mit Amore und Alkohol, Lucy Dacus schaut ohne Nostalgie auf ihre Kindheit und Tyler, The Creator gibt sich weird und facettenreich. Außerdem: die Debatte #MeToo im Deutschrap. Das und mehr in unserem wöchentlichen Musik-Update Keine Angst vor Hits.

Neue Alben

Lucy Dacus – Home Video

Bevor Lucy Dacus mit ihrer Musik bekannt wurde, hat sie ein ziemlich behütetes Leben geführt. Sie kommt aus Richmond in Virginia und ist dort in einem offenbar streng christlich geprägten Umfeld aufgewachsen. Ein Teil davon war die Vacation Bible School, ein christliches Sommercamp, und die Erfahungen dort sind nur eine der Episoden, die Dacus auf ihrem dritten Album „Home Video“ nochmal Revue passieren lässt. Ihre Songs haben von jeher einen nostalgischen Anstrich, es ist aber keineswegs eine Sehnsucht nach früher, eher ein genaues Draufschauen: welche Erlebnisse haben sie geprägt, wie war das mit der Beziehung zu diesem älteren Mann, oder in eine Freundin verknallt zu sein? Das seziert sie einerseits ziemlich direkt und ungeschönt, untermalt von Piano, Synthies und auch mal Akustikgitarre. Andererseits hat sie auch sehr viel Mitgefühl mit ihrem jüngeren Ich.

LoneLady – Former Things

Auch Julie Campbell alias LoneLady hat auf die Vergangenheit geschaut, die Vergangenheit ihrer Heimatstadt Manchester. Als LoneLady schreibt und spielt Campbell sämtliche Parts alleine ein und macht die Aufnahmen selbst. War auf den Vorgängern hin und wieder doch jemand anderes als Gast beteiligt gewesen – ein Schlagzeuger etwa –, ist das auf ihrem neuen Album „Former Things“ kein Thema mehr. Sämtliche Beats und Sequencer-Parts hat sie allein programmiert und ihre Telecaster-Gitarre eingetauscht gegen einen ganzen Berg von Synthesizern und anderen Hardware-Komponenten. Das klingt kühl und 80er-Indiepop. Kein verkratzter PunkFunk mehr oder abgehackter Gitarrensound, hier gibt‘s Elektropop mit grobkörnigen Synthieparts und knallharte Drummachine-Beats. Es geht um Zeit und ihr Vergehen und die Frage, ob alle Träume der Kindheit nur existiert haben, um letztlich doch zu verschwinden?

Modest Mouse – Golden Casket

Modest Mouse ist die Band um Frontmann und Obernörgler Isaac Brock und zählte von den späten 90ern bis Mitte der 00er Jahre zu den Dauerbrennern in jeder Indiedisko. Die Abstände zwischen ihren Platten sind immer größer geworden, das letzte „Strangers to ourselves“ ist von 2015. Das neue „The Golden Casket“ wechselt zwischen merkwürdigen psychedelische Nummern und eher geradlinigen Songs. Man hört laut verzerrte Gitarren, aber auch mal eine Orgel, PlingPlong-Synthies oder Bläser. Das Ganze inklusive der Lispelgesang von Brocks wirkt ein bißchen verwaschen und vermatscht, was vielleicht daran liegt, dass sie bei den Aufnahmen spezielle Mikrofone benutzt haben, die eigentlich für das Aufnehmen Tierlauten genutzt werden. Brocks ist auch längst nicht mehr so nörgelig, es gibt z.B. ein rührendes Lied für seine Kinder.

Tyler, The Creator – Call Me If You Get Lost

Der US-amerikanische Rapper Tyler, The Creator fällt gern auf, und zwar nicht nur durch seine beeindruckenden Reim-Fähigkeiten. 2011 verpeiste er im Musikvideo seiner ersten Erfolgssingle „Goblin“ eine Kakerlake. Der Verzehr von Insekten könnte auch eine ziemlich passende Metapher für einen Großteil der Musik von Tyler sein: Wirkt erstmal abstoßend, erweist sich aber als ungemein nahrhaft. Sprich: Man kann sich wirklich lange mit der bisweilen grotesken, aber dafür hochkomplexen Musik des Rappers befassen. Für sein neues Album „Call me if you get lost“ hat er das Pseudonym „Sir Baudelaire“ erdacht. Baudelaire ist ein französischer Dichter gewesen. Sein bekanntestes Gedicht hätte sicher auch Tyler gefallen: „Une charogne“ handelt von der Schönheit eines verwesenden Leichnams. Tatsächlich ist „Call me if you get lost“ aber für Tyler-Verhältnisse ungemein zugänglich: Es gibt zwar den typisch brachialen Sound auf Songs wie „Manifesto“ oder „Lumberjack“, aber auch angenehm unkomplizierte Sommerhymnen wie „Hot Wind Blows“. Um im Bild zu bleiben: Tyler versteht es inzwischen, eine Kakerlake als Kuchen zu servieren. Schmeckt großartig.

Neu auf der Playlist

Wanda – Die Sterne von Alterlaa

Was für den hiesigen Betrachter nichts weiter als noch eine graue Hochhaussiedlung in der urbanen Peripherie ist, das scheint für viele Wiener ein besonderes Stück Erde zu sein: Zumindest gilt die graue Trabantenstadt Alterlaa als überraschend beliebt. Für Wanda-Sänger Marco Wanda ist es trotzdem „ein Stadtteil, in den ich nimmer fahr’“: Zu häufig ist für ihn, bzw. den Protagonisten der aktuellen Single die Prügelei vor dem Wohnblock der Angebeteten ohne das erhoffte Ergebnis ausgegangen. „Ich will, dass deine Lichter angehen Aber du schläfst und ich brech‘ mir die Hand“, heißt es im Refrain. Fürs Stadtmarketing taugt „Die Sterne von Alterlaa“ wohl eher nicht. Trotzdem schwingt hier ganz viel Liebe mit für die einsamen Gespenster in den sub-urbanen Betonkästen.

Helado Negro – Gemini and Leo

Wenn Löwe und Zwilling zusammen treffen, erwachse daraus eine verspielte, hoch-spritiuelle Beziehung, getragen von Leichtigkeit und Optimismus. So kann man es zumindest auf einschlägigen Fachseiten für Astrologie lesen. Ob’s stimmt, steht in den Sternen – aber Helado Negros nach den Tierkreiszeichen Löwe und Zwilling benannte Single klingt auf jeden Fall, als hätte AstroTV dieses Mal nicht ganz unrecht. Das tanzbare Stück ist nur die Zuckerspitze des Eisbergs von Helado Negros vielfältigem Schaffen: Der Sohn ecuadorianischer Einwanderer aus Florida ist nicht nur für seine Musik bekannt, sondern tobt sich auch als Künstler aus, zum Beispiel in Form von Sound-Installationen. Sein inzwischen neuntes Album „Far In“ erscheint am 22. Oktober.

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