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Radikale Subjektivität – Fanzines im Wandel der Zeit

Kennen Sie noch Fanzines? Musikverrückte haben diese kleinen Hefte selbsgebastelt mit Prittstift und Schere, die Auflage von eigener Hand kopiert und überall in der Stadt ausgelegt. Heute scheinen Fanzines von der Bildfläche verschwunden zu sein. Wie steht es um das Fanzine im Zeitalter des Internets?

Fanzines im Wandel der Zeit 04:02

So schrammelig und selbsgemacht, wie die Musik der Ramones klingt, so haben auch die ersten Fanzines ausgesehen. Waschechte Musiknerds haben dieses und jenes zusammengeklebt und Rezensionen geschrieben. Das erste Fanzine im Musikbereich heißt „Sniffin‘ Glue“. Es ist 1976 in London erschienen. Von da aus ist die Welle gemeinsam mit dem Punk nach Deutschland geschwappt. Woher kommt die Faszination für diese Fan-Magazine? Das kann Kulturwissenschaftler Christian Schmidt erklären. Er betreut im Archiv der Jugendkulturen in Berlin die europaweit größte Fanzine-Sammlung:

Fanzine machen heißt, eine gewisse radikale Subjektivität zu haben. Zu sagen: Das ist meine Meinung, das ist die einzige die zählt und sonst ist mir alles total egal. Fanzines entstehen in erster Linie aus einer gewissen Leidenschaft heraus und weniger aus einem kommerziellen Interesse.

Diese Leidenschaft hört man bei Fanzine-Machern. Tom Weber und Jörg Nicolaus haben jahrelang das Fanzine Persona Non Grata in Leipzig herausgebracht. Die Hefte entstanden alle in Eigenregie. Die PNG, wie das Fanzine später hieß, war alles andere als eine normale Zeitschrift. Einige Hefte gab es zum Beispiel in eigenhändig gefalteten Boxen oder Rollen.

Gerade in der Spät- und Hochphase, wo sich das Format ständig änderte, ging es immer darum, etwas Neues darzustellen. Man sollte sich nicht sicher fühlen, was PNG wollte. Wir wollten mit dem Medium spielen, es herausfordern und mit Rezeptionsgewohnheiten brechen. Was ist ein Musikmagazin? Sind die überhaupt ein Musikmagazin? Schreiben die über Kunst oder sind die schon Kunst?

Die Frage nach Ästhetik und Kunst steht bei vielen Fanzines an allererster Stelle. Das erklärt auch den Charme, den die kleinen Heftchen noch heute versprühen. Christian Schmidt fasst das so zusammen:

Bei diesen handgemachten Heften kommt die persönliche Komponente dazu. Dieses „Zine“ wird zu einer Art Artefakt. Ich habe das Gefühl, da sitzt noch jemand richtig an der Schreibmaschine und hat die Sachen zusammengeklebt. Ich sehe noch die Klebestreifen oder sehr aufwändige Hefte mit Stoffüberzug. Das ist aufgeladen mit etwas Persönlichem. Da bekommt diese radikale Subjektivität eine stoffliche Seite.

Ähnlich denkt auch Jörg Nicolaus, lange Chefredakteur bei Persona Non Grata:

Man kann den Lohn für seine ganze Arbeit, die man reinsteckt zumindest in der Hand halten, wenn man schon kein Feedback vom Leser bekommt. Oder sich das in die Vitrine stellen, wie einen kleinen Wanderpokal. Das ist schön. Bei einem Blog ist dieser Bonus halt nicht da.

Die Vorteile von Blogs liegen auf der Hand: Sie sind preiswert, erreichen potentiell unendlich viele Menschen und sehen schnell professioneller aus. Blogs wie Rote Raupe oder White Tapes zeigen, wie das funktionieren kann. Vor allem zu Beginn der 2000er Jahre hatten solche Blogs ihre Hochphase. Oft ging es um alternative Subkulturen oder um bestimmte Bands.

Trotz der Digitalisierung bleibt das gedruckte Fanzine Teil einer Lebensphilosophie. Für die Macher geht es um mehr als nur um das Basteln eines Musikhefts. Das hat auch Jörg Nicolaus bemerkt:

Wenn man weit weg reist und seine Perspektive erweitert, dann wirkt Leipzig manchmal ein wenig beengt und alles was man da gemacht hat so unwichtig, nebensächlich und gestrig. Dann wirkt das alles nicht mehr so wichtig für das eigene Leben und man neigt oft dazu, sich anderen Dingen zu widmen. Aber immer wieder, wenn es zurück nach Leipzig ging, war da Persona Non Grata.

Trotz all der Nostalgie – das selbstgebastelte Fanzine wird wohl eher die Ausnahme bleiben. Heute halten Musikbegeisterte ihre Gedanken auf Blogs fest. Was Fanzine-Bastler und Blogger aber vereint, ist die Leidenschaft für Musik, ohne kommerzielle Zwänge. Und da ist es egal, ob man seine Texte ins Internet stellt oder als Magazin in der ganzen Stadt auslegt.

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