Brasilien ist das Vorzeigeland unter den aufstrebenden BRICS-Staaten – gewesen. Nun steckt das Land wirtschaftlich und politisch in der Krise. Am 13. März hat es die bisher größten Massenproteste gegeben. Drei Millionen Brasilianer haben dabei gegen den Korruptionsskandal „Lava Jato“, die sogenannte „Operation Hochdruckreiniger„, demonstriert. Die Bevölkerung scheint nicht nur das Vertrauen in die aktuelle Regierung, sondern auch in die Opposition, die Medien und die Justiz verloren zu haben.
Ciao, geliebtes Brasilien
Die Demonstranten rufen „Tchau querida“, doch mit „Ciao, meine Liebe“ ist nichts Positives gemeint. Der Ausruf spielt auf ein Telefonat zwischen der amtierenden Präsidentin Dilma Rousseff und dem ehemaligen Präsidenten Lula da Silva an. Rousseff hat in dem Telefongespräch mit ihrem Vorgänger darüber gesprochen, ihn zum Stabschef zu ernennen und da Silva damit Immunität im laufenden Korruptionsverfahren zu verschaffen.
Auch gegen die Präsidentin selbst wird ermittelt; sie soll von der Korruption gewusst haben. Doch nicht nur das Vertrauen in die beiden Spitzenpolitiker ist gestört. Oppositionelle stehen ebenfalls in dem Verdacht, mit dem halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras illegale Geschäfte abgeschlossen zu haben. Insgesamt soll das Unternehmen zehn Milliarden Euro für das Wohlwollen der Politiker gezahlt haben.
Der Einfluss von Petrobras war immer groß und auch immer sichtbar. Den hat man nur nicht für so schädlich gehalten, wie er im Endeffekt war. Diese Verflechtung zwischen Staat und Staatsunternehmen kann die Demokratie ruinieren. – Thomas Fischermann, Südamerika-Korrespondent der Wochenzeitung Die Zeit
Doch auch das Gesicht der Korruptionsbekämpfung, der Richter Sergio Moro, steht in der Kritik. Der Staatsanwalt soll die Aufnahmen des Telefonats zwischen Rouseff und da Silva selbst an die Medien geliefert haben, die dann stark geschnitten wiedergegeben wurden. Auch das hat die Brasilianer erneut auf die Straße getrieben.
Zwischen „Fora Dilma“ und „Golpe“
Besonders Dilma Rousseff scheint mit der Staatskrise an Rückhalt zu verlieren: 70 Prozent der Brasilianer befürworten das Amtsenthebungsverfahren gegen die Präsidentin. Aber auch ihr Vorgänger Lula da Silva wirft mit seinen Verwicklungen nachträglich ein schlechtes Licht auf sein politisches Erbe. Beide sind Mitglied der sozialdemokratischen „Partido dos Trabalhadores“, die seit 2003 Brasilien regiert. Die Partei gibt sich wenig selbstkritisch und vergleicht die Vorwürfe gegen die Spitzenpolitiker mit einem Putschversuch gegen die Demokratie.
Niemand ist im Augenblick da, der wieder Vertrauen in die Regierung bringen könnte. – Thomas Fischermann
Erste Demonstranten fordern bereits die Rückkehr zur Militärdiktatur. Die noch junge brasilianische Demokratie steckt also in einer handfesten Vertrauenskrise. Auch wirtschaftlich ist das Land durch den Milliardenverlust des Staatskonzerns Petrobras tief geschwächt. Mit Sorge schaut besonders die Sportwelt auf die aktuellen Entwicklungen im Land. In knapp fünf Monaten sollen die Olympischen Spiele in Rio stattfinden.
Wie der Korruptionsskandal in Brasilien das Vertrauen in die junge Demokratie zerstört, darüber hat detektor.fm-Moderatorin Doris Hellpoldt mit Thomas Fischermann gesprochen. Er ist Leiter des Südamerika-Büros der Wochenzeitung Die Zeit.
Redaktion: Johanna Siegemund