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“Die Jugend der Anderen” – Das Leben in den Jugendwerkhöfen der DDR

In den Jugendwerkhöfen der DDR sollten „schwer erziehbare“ Jugendliche auf Kurs gebracht werden: Mit Zwangsarbeit und Überwachung sollten sie zu sozialistischen Persönlichkeiten geformt werden.

Es war eine der schlimmsten Sanktionen im Heimerziehungssystem der DDR – in den Jugendwerkhöfen lebten Jugendliche, die als schwer erziehbar galten oder nicht ins sozialistische System passten. Hier sollten die Jugendlichen Zucht und Ordnung lernen.

Wie es dort zuging, weiß kaum jemand. Denn darüber zu sprechen fällt den ehemaligen Insassen noch immer schwer. Dazu hat jetzt in der Gedenkstätte Jugendwerkhof Torgau die Ausstellung „Die Jugend der anderen“ eröffnet.

Lieber verdrängen als erinnern

Die Fotografin Christine Eisler und die Journalistin Gundula Lasch haben dafür Kontakt zu ehemaligen Insassen aufgenommen – kein leichtes Unterfangen. Denn die meisten Betroffenen wollen sich lieber nicht an die Zeit im Jugendwerkhof erinnern.

Das ist bei Manuela Brandenbergeranders: Wie sie in den Jugendwerkhof Crimmitzschau kam und wie das Leben dort aussah, hat sie Juliane Neubauer und Stefanie Gerressen erzählt.


Der Beitrag zum Nachlesen:

Anfang der Achtziger Jahre war Christiane Eisler Fotografiestudentin in Leipzig. Damals bekam sie eine einmalige Chance – für ihre Abschlussarbeit an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchdruckkunst durfte sie im Jugendwerkhof Crimmitzschau fotografieren.

Ich bin damals 1982/83 in der Einrichtung gewesen. Ich habe als Fotografiestudentin fotografiert und dreissig Jahre später mir gewünscht, dass man die Frauen vielleicht mal wieder finden könnte. Mit ihnen reden, wie ihr gesamtes leben so verlaufen ist, was sie erlebt haben, welches Schicksal sie genommen haben – da war ich einfach neugierig.

Gemeinsam mit der Journalistin Gundula Lasch machte sie sich auf die Suche nach den Mädchen, die damals in Crimmitschau gelebt haben. Dabei stießen sie auf Manuela Brandenberger. Diese wurde als Kleinkind von ihren viel zu jungen Eltern abgegeben. Sie durchlief diverse Kinderheime. Nach der Schule ging sie in die Lehre, lernte die falschen Leute kennen, schwänzte die Ausbildung. Dann wurde sie abgeholt. Aus ihr sollte eine sozialistische Persönlichkeit im Sinne des Staates werden. Die junge Frau wurde quer durch die Republik transportiert, um eine passende Einrichtung zu finden. In Manuelas Erinnerungen an damals war das eine Tortur.

Diese Durchgangsheime, die muss ich sagen, waren eben für mich das schlimmste, weil da warst du kein Mensch, da warst du einfach nur ein Stück. Du bist dann irgendwann in der Nacht geweckt worden, anziehen und ins Auto und fort. Du wusstest nicht wo du hin kommst und ist man dort angekommen, dann musstest du dich eigentlich bis auf den Schlüpfer ausziehen und dann hast du in so einer Arrestzelle gehockt und dann hast du da irgend solche Anstaltskleidung gekriegt und dann war es eben halt alles vergittert, das war wie Gefängnis.

Im Spätsommer 1983 kam Manuela dann in den Jugendwerkhof Crimmitschau. Neuankömmlinge wurden die ersten Wochen von einer Patin bewacht, einem Mädchen, das schon länger im Werkhof lebte. Auf Schritt und Tritt beobachtet, durfte Manuela in den ersten Wochen nicht einmal alleine zur Toilette gehen. Die pubertierenden Mädchen hatten kaum Privatsphäre, sie mussten bis zur Erschöpfung arbeiten.

Wenn wir Frühschicht hatten, dann mussten wir halt früh um viere aufstehen, frühstücken, Betten machen und dann ging es mit dem Bus zur Arbeit bis Nachmittag und wenn man wieder kam musste man halt die üblichen Dinge erledigen. Toilette putzen, Flure putzen, die Gruppen Räume aufräumen, bis man dann halt abends wirklich geschafft ins Bett gefallen ist.

160 Mädchen waren in Crimmitschau untergebracht. Der Zusammenhalt untereinander war groß. Die Entlassungen kamen oft ungeplant. Wenn die anderen Arbeiten waren, packte man seine Sachen und ging, erklärt Manuela. Kein Abschied von den Freundinnen. Keiner wusste wohin die Mädchen geschickt wurden. Ehemalige Insassinnen waren in der DDR gebrandmarkt. Sie schämten sich, reden bis heute kaum über die Zeit. Das Erlebte hat oft dauerhafte Wunden hinterlassen. Auch bei Manuela:

Ich kann ganz ganz schlecht Gefühle nach außen lassen, ob jetzt negativ oder positiv, weil man das da eigentlich gelernt hat, wenn man Gefühle gezeigt hat, wurde man angreifbar von außen und das habe ich bis heute behalten.

Auch heute fällt es ihr schwer, darüber zu sprechen. Gleichzeitig ist es für sie wie eine Befreiung, das Schweigen zu brechen. Darum war sie eine der wenigen, die bereit war an der Ausstellung „Die Jugend der anderen“ mitzuhelfen. Das Schweigen brechen – das ist es auch, was sie und Christiane Eisler erreichen wollen, erklärt Gundula Lasch:

Wir hoffen, dass mit dieser Ausstellung und vielleicht auch mit diesem Beispiel von Frau Brandenberger, die auch wirklich aufblüht und vielleicht das als eine Art Selbstbefreiung jetzt gemacht hat, dass dann vielleicht auch mehr Leute sagen: Vielleicht ist das ganz gut für mich damit mal abzuschließen. Und vielleicht auch diese Botschaft: Das ist keine Schande dort gewesen zu sein.

Um das zu Begreifen hat Manuela Jahre gebraucht. Heute ist sie verheiratet und hat einen vierzehnjährigen Sohn. Anders als sie es als junges Mädchen erlebt hat, wünscht sie sich für ihn, dass er frei und ohne Angst sein kann wie er ist.

Er kennt meine Geschichte, aber er redete nicht drüber, weil er das nicht so ganz nachvollziehen kann. Aber ich denke, er weiß eben halt, wie es ist, wenn man als Kind wohlbehütet ist. Also, was ich in meiner Kindheit nicht so hatte, dass er das jetzt eben hat und das schätzt er eigentlich schon sehr.

Die Jugendwerkhöfe sind heute Geschichte, genauso wie die DDR. Es ist eine Geschichte, die viele am liebsten vergessen möchten, doch in Manuelas Fall ist die Erinnerung daran eine Befreiung.

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