Im Hintergrund tönt leise Jazz-Musik. Die Lampen strahlen gegen die dunkle Holzvertäfelung der Räume an. Durch eine Schiebetür sieht man, wie das Barpersonal emsig Bier und Cocktails über den Tresen reicht. „Das ganze Interieur ist original erhalten, aus den 30er Jahren“, erzählt Claudius Bruns und lässt den Blick durch die Räume der ehemaligen Weinstube schweifen. Der 34-jährige lässt sich in einen der dunklen abgewetzten Ledersessel fallen und man sieht, dass er sich wohlfühlt – im Horns Erben, das er als Kulturverein mit drei anderen gegründet hat, in der Südvorstadt, in Leipzig. „Aber es hat einige Zeit gedauert bis ich mich hier heimisch gefühlt habe“, sagt der Kölner, der sich mittlerweile selbst als „Wossi“ bezeichnet. Seit 13 Jahren wohnt Bruns nun schon in Leipzig. Er kam damals in die Stadt um Jazz-Piano an der Leipziger Musikhochschule zu studieren: „Ich bin aus dem behüteten, katholischen Rheinland nach Leipzig gekommen und hab gedacht, das ist interessant. Hier tut sich vielleicht noch was und hatte die vielleicht etwas idealistische Vorstellung: hier verbindet sich jetzt das Beste des Sozialismus mit dem Besten des Kapitalismus und das ist toll.“ Diese Erwartung hat sich leider nicht erfüllt, sagt der Mann mit den langen blonden Haaren, aber dennoch habe er hier ein Lebensgefühl entdeckt, das es so im Westen nicht gäbe. „Zum Beispiel das Horns. Als wir die Räume zufälligerweise entdeckten, entschieden wir uns 2005: Lasst uns was draus machen. Und es klappte. Es ist etwas entstanden und die Leute nehmen es an. Die Stadt unterstützt es. Das finde ich das Tolle, das Spannende an Ostdeutschland, dass hier Räume sind. Im abstrakten und im direkten Sinn des Wortes.“
Bruns schiebt sich die schwarze Brille zurecht, holt sich einen Cuba Libre an der Bar und steigt die Stufen zu seiner Wohnung hinauf, zwei Etagen über den Club-Räumen. Ob er es manchmal schwer gehabt habe, als Wessi? „Nein“, sagt er, „die meisten Menschen waren immer hilfsbereit und offen.“ Mittlerweile fühle er sich solidarisch mit den Leipzigern und teile das „Wir-Gefühl“ der Menschen. Nur manchmal, da merkt Bruns, dass man noch unterschiedlich tickt: „Wenn ich zum Beispiel Emails bekomme von ostdeutschen Freunden, die mich dann bitten Petitionen zu unterschreiben, für zum Beispiel irgendein Sozialmodel das 1000 Euro Basis-Versorgung für jeden garantiert. Zu solchen extrem sozialistischen Ideen gehe ich natürlich krass contra. Da habe ich prinzipielle Verständnisprobleme.“ Doch ebenso habe er ostdeutsche Freunde, mit denen er eine Art Wesensverwandtschaft teile. Er habe sich zu keinem Zeitpunkt in all den Jahren sozial isoliert gefühlt. „Da haben es Ossis im Westen vergleichsweise schwerer“, sagt Bruns und schüttelt mitleidig den Kopf.
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Knapp 500 Kilometer weiter westlich sitzt ein junger Mann in den Büroräumen des Düsseldorfer Flughafenhotels und weiß genau wovon Bruns spricht. Nach einer Ausbildung zum Hotelfachmann in Dresden und zwei Jahren in Berlin zog Tobias Wojciech 2005 schließlich nach Krefeld. Primär sei es darum gegangen der Freundin dort näher zu sein, aber er habe sich auch einen besseren Job erhofft, erzählt der 25-Jährige. „Aber es lief nichts so wie ich es mir vorgestellt hatte. Während meines ersten Dreivierteljahrs hier, habe ich die Entscheidung hierher zu kommen, bereut.“ Der neue Job machte es ihm durch den Schichtdienst schwer soziale Kontakte zu knüpfen und auch der Bekanntenkreis der Freundin reagierte auf „den Ossi“ alles andere als freundlich. Wojciech zieht das Jackett seines dunklen Anzugs aus und legt es sauber über die Lehne seines Bürostuhl: „Die meisten ihrer Freunde hab ich auf einer Gartenparty kennengelernt, aber die Gespräche bestanden maximal aus einem kurzen ‚Hallo’. Danach kam gar nichts mehr. Man redete nicht weiter mit mir, man interessierte sich nicht für mich. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen hier oberflächlicher sind, mehr über materielle Dinge reden. Im Osten hat man nicht das Gefühl sich ständig beweisen zu müssen, indem man über Geld redet, sondern es kommt mehr auf die inneren Werte an.“ Als in diesem Moment das Telefon klingelt, greift Wojciech energisch zum Hörer. In makellosem Hochdeutsch bespricht der gebürtige Dresdner die Bedingungen eines Vertrags mit einem Großkunden des Hotels. Doch auch wenn ihn kein Dialekt verrät, ließen es sich viele Kollegen nicht nehmen Ossi-Witze zu reißen oder nach dem Bananen-Vorrat im heimischen Dresden zu fragen. Anfangs grämte das Wojciech. Er fühlte sich von oben herab behandelt. Doch die Dinge haben sich geändert. Er suchte sich einen neuen Job, fand ihn im Düsseldorfer Flughafenhotel und stieg dort innerhalb kürzester Zeit zu einem der jüngsten Salesmanager der Branche auf. Heute ringen ihm Ossi-Witze nur noch ein müdes Lächeln ab.