Die schwarz-gelbe Bundesregierung hatte 2011 nach der Zerstörung des Atomkraftwerks in Fukushima beschlossen, früher und schneller aus der Atomenergie auszusteigen als ursprünglich geplant. Dabei entschied sie, acht Atomkraftwerke sofort abzuschalten und die übrigen zu festgesetzten Terminen bis 2022 vom Netz zu nehmen. Eine Kehrtwende: Wenige Monate vor dem Super-GAU in Japan hatte sie den Atomausstieg noch verschoben und die Lauffristen verlängert.
Warum wollen die Energiekonzerne Entschädigung?
Dieses Vorgehen ist den Energiekonzernen E.ON, RWE und Vattenfall ein Dorn im Auge. Sie sind der Meinung, sie seien damals enteignet worden. Die Begründung: Da die Bundesregierung einige Meiler abgeschaltet und die Laufzeiten für andere verkürzt hatte, konnten sie die Atomkraftwerke nicht mehr wie vorher abgemacht betreiben. Dadurch seien ihnen eingeplante Einkünfte verwährt geblieben.
Der Bund indes beruft sich auf ein Urteil zur Nutzung der Atomenergie aus dem Jahr 1978: Die Entscheidung, ob Kernergie zur Energiegewinnung genutzt werden darf oder nicht, liegt einzig beim Gesetzgeber. Nach Ansicht der Bundesregierung hat die Reaktorkatastrophe in Fukushima 2011 die Risiken der Atomenergie in so drastischer Weise aufgezeigt, dass das Risiko gegenüber der Bevölkerung danach nicht mehr vertretbar war. Also entschloss man sich, den Atomausstieg schneller zu forcieren.
Es geht um mehr als den Atomausstieg
Das höchste deutsche Gericht hat nun entschieden, dass die Maßnahme der Regierung im Kern in Ordnung war. Doch gleichzeitig wertet sie es als Eingriff ins Eigentum der Konzerne und gesteht diesen Ausgleichszahlungen zu. Dabei geht es um mehr als nur monetäre Entschädigungen.
An dem Urteil hängt nämlich auch, inwieweit der Staat zur Kasse gebeten werden kann, wenn er die Interessen seiner Bürger vertritt. Diese Frage drängt sich grade vor dem Hintergrund internationaler Schiedsgerichte auf. Vattenfall klagt parallel zum Prozess in Deutschland vor einem privaten Schiedsgericht in den USA wegen der Stilllegung der Meiler in Krümmel und Brunsbüttel. Das schwedische Energieunternehmen möchte 4,7 Milliarden Euro Entschädigung.
Wie viel Geld die Energiekonzerne in Deutschland bekommen, ist durch das Urteil des Verfassungsgerichts jedoch nicht geklärt. Es bestätigt nur, dass Entschädigungen rechtmäßig sind. Die Unternehmen können sich bei Zivilklagen um die Höhe der Entschädigung nun auf dieses Urteil berufen. Offen ist jedoch auch, ob sie diese auch durchsetzen wollen oder eine andere Taktik wählen. Denn parallel zum Prozess haben der Bund und die Versorger darüber verhandelt, wie die Kosten für den Rückbau der Atomkraftwerke und die Endlagerung des Atommülls verteilt werden. Das Urteil des Verfassungsgerichts stärkt nun die Verhandlungsposition der Energiekonzerne. Fest steht: Der Steuerzahler trägt die Kosten für den beschleunigten Atomausstieg.
Welche Auswirkungen das Urteil hat und warum es aus Sicht der Kläger gerechtfertigt ist, hat Thilo Schaefer im Gespräch mit detektor.fm-Moderator Alexander Hertel erklärt. Er ist Leiter des Kompetenzfeldes Umwelt, Energie und Infrastruktur beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.
Redaktion: Joachim Plingen