Ein Kommentar von Lars-Hendrik Setz
Noch vor einem halben Jahr hatte ich keine Ahnung von Visegrád. Dass sich die mitteleuropäischen Länder Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei alle sechs Monate treffen, hielt ich anfangs für eine Art politischen Kaffeeklatsch mit Kneipenparolen. Heute weiß ich, dass es sich damit leider nicht erledigt hat. Zwar ist die politische Zusammenarbeit der vier Länder begrenzter als man glauben mag. Doch trotzdem schaffen sie es, Europa zu verändern.
Europas Mitte wächst
Daran wäre nichts auszusetzen. Wäre der Einfluss der vier Visegrád-Länder nur nicht so giftig und zerstörerisch. Wenn Viktor Orbán in Ungarn die Verfassung beinahe nach Belieben verändert, die PiS in Polen die Justiz verstümmeln möchte oder in Tschechien ein Präsident regiert, der scherzt, man möge Journalisten verhaften und gegen Minderheiten hetzt, stehen Werte auf dem Spiel. Diese Länder sind ein El Dorado für neue Rechte, für Hetze und Ausgrenzung.
Und Europas Mitte wächst. In Österreich sieht man teilweise Gemeinsamkeiten mit den Visegrád-Ländern, zum Beispiel in Flüchtlingsfragen. Und in dem noch ferneren Italien spricht man nach den letzten Parlamentswahlen von einer vermeintlichen Nähe zu den „V4“. Für eine solidarische und zukunftsgewandte Europäische Union ist das mindestens eine Herausforderung, auf die man derzeit wahrscheinlich gerne verzichten könnte.
Auf Zivilgesellschaft hören
Oft stehen die Visegrád-Länder für Anti-EU-Attitüden und eine harte Grenz- und Asylpolitik. Bei dieser Betrachtung kommen diejenigen zu kurz, die sich in Europas Mitte für andere Werte einsetzen. Flüchtlingshilfen, Selbsthilfeorganisationen, liberale Think Tanks. Viele von ihnen arbeiten an neuen Ideen, die ihre Länder voranbringen könnten. Doch sie hadern. Für viele von ihnen hat sich ihr Engagement in der Vergangenheit enorm erschwert.
Wer verhindern will, dass die Visegrád-Länder die EU ins Wanken bringen, könnte einfach genauer hinschauen und zuhören. Denn dann trifft man Menschen, die die Zukunft optimistischer sehen, die an die EU glauben und sich einbringen wollen. Wer allerdings die Visegrád-Länder als Miese-Laune-Macher abtut oder sie wegen ihrer derzeitigen Regierungen meidet, riskiert, dass diese Stimmen in Zukunft noch leiser werden.
detektor.fm-Reporter Lars-Hendrik Setz ist für Europas Mitte vier Monate lang durch die Visegrád-Länder gereist. Mit detektor.fm-Moderatorin Isi Woop hat er über die Reise und seine Erfahrungen gesprochen.