Europa sichert seine Grenzen. Während Ungarn heftig dafür kritisiert wird, mit Zäunen seine Grenzen zu schließen, tut Europa selbst nichts anderes: auf dem marokkanischen Festland. In Marokko gibt es drei spanische Exklaven, spanisches Hoheitsgebiet mitten in Marokko.
Für Flüchtlinge bedeutet das: sie können auf europäischen Grund und Boden gelangen, ohne den gefährlichen Weg übers Meer nehmen zu müssen. Sie wären in Spanien, wo sie dann einen Asylantrag stellen könnten. Theoretisch. Praktisch läuft es ganz anders.
Der Sturm auf die Zäune der Exklaven – fernab der Kameras
Die Flüchtlinge werden mit Gewalt von den Grenzen ferngehalten. Immer wieder werden die sieben Meter hohen Zäune und Grenzanlagen ausgebaut: scharfer Nato-Draht, Grenzpolizisten mit Gummknüppeln, auch die Militärpräsenz vor Ort wurde massiv aufgestockt. Tausende warten schon jetzt in der Umgebung auf ihre Chance. Und einmal mehr neigt sich die Saison für die Boote dem Ende.
Nun kam es in kürzester Zeit an der Exklave Ceuta gleich zu zwei Massenanstürmen, sogenannten „attac massiv“: 200 Menschen vergangenen Samstag, ebensoviele oder mehr noch im Laufe der Woche. Flüchtlinge vor Ort berichteten uns von vielen Verletzten und sogar Toten (Original-Aufnahmen am Ende des Beitrags).
Solche konzertierten Aktionen sind dabei oft die einzige Chance: die Beamten sind kurzzeitig überfordert, können nicht alle Menschen zurückhalten – alles, was man in Kauf nehmen muss, sind Verletzungen durch die Sprünge und Schnittwunden. Klingt schlimm. Doch Angst, Hunger und Verzweiflung sind schlimmer.
Sicher auf europäischem Boden? Fehlanzeige.
Zu tausenden warten also die Menschen an den Grenzen auf ihre Chance. Sie leben in Camps in den Wäldern rund um die Grenzen, immer in der Gefahr, sich spontanen Einsätzen von Sicherheitskräften gegenüber zu sehen. Sie schlafen in Kleidung und mit Schuhen, um immer fluchtbereit zu sein. Ständig gibt es Razzien, Menschen werden eingesammelt und deportiert.
Doch auch wer es auf die andere Seite der Grenze, nach Europa geschafft hat, ist nicht sicher. Verletzte Flüchtlinge berichteten unserer Reporterin, sie seien zwar von einem Krankenwagen aufgenommen worden – der allerdings habe sie direkt wieder zurück auf die marokkanische Seite verfrachtet und dort rausgeschmissen. Nicht der einzige Bericht, der Zweifel daran aufkommen lässt, ob sich hier an europäisches und internationales Recht gehalten wird.
Die EU könnte eingreifen. Was sie stattdessen tut…
Der EU ist das alles nicht neu. Berichte über die Situation an den Exklaven gibt es seit Jahren. 2014 sind etliche Flüchtlinge auf der Flucht vor marokkanischen Sicherheitskräften ins Meer gesprungen, 14 von ihnen sind ertrunken – wohl auch, weil von spanischen Sicherheitskräften Gummigeschosse eingesetzt wurden.
Doch für Marokko gibt es kaum einen Grund, an den stetigen Menschenrechtsverletzungen etwas zu ändern. Im Gegenteil: Marokko wird von der EU dafür noch belohnt.
„Marokko schwingt seit Jahren die Keule, die die EU dem Land in die Hand gibt.“ – detektor.fm-Reporterin Fanny Kniestedt
Im Interesse der EU liegt, dass die Menschen ferngehalten werden. Im Interesse Marokkos liegen die Gelder aus Europa und eine gute Verhandlungsposition. Es scheint nicht so, als ob hier irgendjemand wirklich Druck hätte, etwas zu ändern.
Auch „Human Rights Watch“ wies bereits vergangenes Jahr auf die miserable Situation für Sub-Sahara-Flüchtlinge hin. Verändert hat sich nichts.
detektor.fm-Reporterin Fanny Kniestedt war vor Ort in Marokko, hat dort recherchiert und bis heute Kontakt zu Flüchtlingen und Helfern vor Ort. Was sie von denen hört, was die Menschen vor Ort erleben und wie die aktuellen Meldungen über Anstürme auf die Exklaven einzuordnen sind, erklärt sie im Gespräch mit Moderatorin Doris Hellpoldt.
Original-Aufnahmen der Flüchtlinge vor Ort
Update vom 17.10.:
Unsere Reporterin hält weiterhin Kontakt zu den Menschen vor Ort. Bilder und Audioaufnahmen, die uns von dort erreichen, werden wir an dieser Stelle veröffentlichen. Hier sind die ersten beiden Aufnahmen:
„Ja, ich habe davon gehört. In Cassiago war das. Da haben es um die 80 rüber geschafft. Ich wollte auch dorthin fahren. Aber mir und allen anderen Blacks wurde es verweigert, Tickets zu kaufen.“
„Ich hab’s auch gehört. Es sollen über 60 geschafft haben. Aber es ist dann gekippt. Es gab viele Verletzte und zwei Tote. Das ist das, was ich dazu sagen kann.“
Redaktion: Fanny Kniestedt, Marcus Engert