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Der Unamid-Einsatz in der Provinz Darfur im Sudan. Foto: Asharf Shazly (AFP)
Der Unamid-Einsatz in der Provinz Darfur im Sudan. Foto: Asharf Shazly (AFP)

Geschönte Berichte, vertuschte Verbrechen: UN-Mission in Darfur unter Verdacht

„Wir können nicht alles erzählen, was wir in Darfur sehen!“

Hat die Blauhelm-Truppe im Sudan systematisch Verbrechen verheimlicht? Diesen Vorwurf erhebt die ehemalige Sprecherin der Mission. Nun erwägt der Internationale Strafgerichtshof, zu ermitteln – gegen die UN.

Was denken Sie, wenn Sie „Blauhelme“ hören? Friedenssicherung, Hilfe, Schutz von Zivilisten? Denken Sie auch an Lügen, Vertuschung und Verheimlichen von Verbrechen? Der Blauhelm-Mission in Darfur wird genau das vorgeworfen.

Sie sollte eigentlich jene kontrollieren, die für Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht werden. Nun aber gibt es diesen beunruhigenden Verdacht: genau jene Blauhelmtruppe soll gemeinsame Sache mit den Kriegsverbrechern gemacht haben. Das zumindest behauptet eine Whistleblowerin.

Und nun überlegt sogar der Internationale Strafgerichtshof, ob er deswegen ermittelt – gegen die UN! Ein einmaliger Vorgang. Marcus Engert im Gespräch mit Christoph Dziedo über den Verdacht gegen die Unamid-Mission.

Friedensmission in Darfur unter Verdacht 04:56

Das Gespräch zum Mitlesen

 

Worum geht’s bei diesen Vorwürfen?

Es geht um Darfur, diese Provinz im Sudan. Dort wurde ja 2007 eine Friedensmission stationiert, eine Blauhelm-Truppen von der UN. Diese Mission ist immer noch dort. Und lange Zeit sah es eigentlich so aus, als ob sie nicht ganz ohne Erfolg war. Jetzt aber ist der Verdacht im Raum, dass das nicht stimmt – und die Öffentlichkeit hier belogen wurde. Denn die Berichte, die die Mission abgab, sollen gefälscht und geschönt worden sein – und schlimmste Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung einfach ausgespart haben. Obwohl oder weil sie sich während der Anwesenheit der Blauhelme dort ereigneten.

Wer sagt das denn, bzw. wo kommen diese Vorwürfe her?

Wer das behauptet, war da mal ziemlich tief mittendrin: es ist nämlich die ehemalige Sprecherin der Mission, Aicha Elbasri. Und die untermauert ihre Vorwürfe mit internen Mails der Mission. In einem großen Text in der renommierten Zeitschrift „Foreign Policy“ beschreibt sie, wie die Weltöffentlichkeit da systematisch belogen worden sein soll.

Genau das frage ich mich auch gerade: da blickten ja durchaus die Augen der Welt nach Darfur!?

Die Mission selbst habe dafür gesorgt, schreibt sie, dass man dort gar nicht alles erfahren konnte.  Zwei Beispiele habe ich mal aus ihrem Text mitgebracht:
Einen Vorfall, bei dem Zivilisten nach Kutum reisen wollten, und vor den Augen der Blauhelm-Mission von arabischen Milizen erschossen wurden. Die Berichte sagten dann hinterher, es habe sich um Schusswechsel zwischen arabischen Milizen und Regierungstruppen gehandelt.
Oder ein anderes Beispiel: die Regierung des Sudan war im Juli 2004 aufgefordert worden, gewalttätige Milizen dort zu entwaffnen. Stattdessen habe der Präsident diese einfach in seine Armee integriert. Und die Vereinten Nationen hätten das gewusst, aber diese Geschichte so einfach niemandem erzählt.
Letzten Endes hätte die Friedensmission und die Vereinten Nationen da also selbst dafür gesorgt, dass sich die Regierung da ganz einfach aus der Verantwortung ziehen konnte. Und zwar, indem man immerzu alles nur als Konflikte zwischen ein paar Stämmen dargestellt habe.

Es gab doch aber umfangreiche Berichterstattung über den Sudan. Wie konnte das trotzdem so unklar bleiben?

Das lag vielleicht auch daran, dass die Kommunikation dort sehr viel beschönigt oder verschleiert hat, so zumindest der Vorwurf. Zum Beispiel mit Deckvokabeln. Auch die beschreibt diese Whistleblowerin:
– „Luftschlag“ bedeute da in Wahrheit die Bombardierung unschuldiger Zivilisten
-„Sporadische Zusammenstöße“ seien langanhaltende kriegerische Kämpfe
– „Sexuelle oder geschlechter-basierte Gewalt“ sei systematische Massen-Vergewaltigung.
– Und die sogenannten „regulären Truppen“ des Präsidenten habe sie als, so wörtlich, ‚Todesschwadronen‘ erlebt, die ohne jedes Gesetz töteten und keinen Unterschied machten, ob es sich dabei um Zivilisten, Frauen, Kinder handelt oder nicht.
Sie zitiert da an einer Stelle ihren damaligen Chef, mit den Worten: „Manchmal müssen wir uns wie Diplomaten verhalten. Wir können nicht alles erzählen, was wir in Darfur sehen.“ Und diese Taktik habe sich dann eben fortgepflanzt. Aus Lügen, Halbwahrheiten und Desinformationen wurden Berichte, die gingen bis hoch zu UN-Generalsekretär Ban Ki-moon gingen – und von dort dann so in die Medien.

Warum das Ganze? Warum sollen diese Berichte das alles verheimlicht haben?

Ganz offenbar, um ein geschöntes Bild abzugeben. Und um den Eindruck zu erwecken, die Mission sei erfolgreich. Der Verdacht liegt nah, dass man hier Verbrechen gegen Zivilisten, aber auch gegen die Friedensmission selbst, vertuschen wollte – um Schuldige aus der Reihe der Regierung zu schützen. Ob das passiert ist, weil man auf gute Beziehungen zu dieser Regierung angewiesen ist, wenn man dort etwas verändern will, oder weil dort noch ganz andere Seilschaften im Hintergrund bestehen, das soll jetzt untersucht werden.

Wie kommt es denn dazu, dass das Ganze doch nochmal aufgerollt wird?

Daran ist die Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof Schuld. Nachdem die Vereinten Nationen selbst hier faktisch nix getan haben, hat sich die Chefanklägerin jetzt überraschend deutlich zu Wort gemeldet. Sie will untersuchen, ob sich wirklich führende UNAMID-Funktionäre mit Regierungsangehörigen aus Dafur oder mit Milizen, die zu denen gehören, verbündet haben. Sie hat dafür ganz bewusst ein hartes Wort benutzt: „Vertuschung“.
Jedenfalls verlangt sie eine gründliche und vor allem öffentliche Ermittungen der UN in eigener Sache. Und sie hat dem sogar eine Drohung nachgeschickt: Wenn das nicht passiert, könnte sich der Strafgerichtshof einschalten und selbst ermitteln. Im UN-Sicherheitsrat wird jetzt noch diskutiert, ob man dieser Forderung nachkommen soll. Australien und Ruanda sind dafür, Großbritannien aber ist dagegen. Der größte Geldgeber der Mission sind die USA – es wird also auch davon abhängen, wie die sich positionieren.

Und wie aussichtsreich ist das Ganze?

Das ist wirklich die Frage. Der Internationale Strafgerichtshof ist zwar beeindruckend, wird aber immer auch als zahnloser Tiger beschrieben. Mal ein Beispiel dazu, warum das so ist. Der ehemalige Präsident des Sudan, über den wir hier auch eben gesprochen haben: der wird seit 2009 von eben diesem Gerichtshof mit Haftbefehl gesucht. Und läuft seitdem vollkommen frei und unbehelligt herum – auch in Ländern Afrikas, die Mitglied des Strafgerichtshofs sind. Also, es kann durchaus sein, dass das Ganze jetzt wegen Diplomatie, Bürokratie und allen möglichen Verwicklungen noch eine ganze Weile so dahin köchelt.

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