Von wegen makellos
Einst galt Justin Trudeau als der Gute schlechthin. Er wurde als weltoffen, tolerant und feministisch gefeiert. Skandale musste man beim kanadischen Premier lange suchen – fündig geworden ist man trotzdem nicht. Dafür kommt es jetzt besonders dicke.
Trudeau soll seine ehemalige Justizministerin Jody Wilson-Raybould bedrängt haben, eine Klage gegen das Bauunternehmen SNC-Lavalin fallen zu lassen. Stattdessen solle man eine außergerichtliche Einigung anstreben. Die Ministerin weigerte sich – und wurde aus ihrem Amt entlassen. Das alles ist nun schon einige Wochen her, alle Beteiligten haben sich in Schweigen gehüllt. Nun aber hat Wilson-Raybould die Stille durchbrochen und sich öffentlich in einer Parlamentssitzung geäußert.
Schwere Vorwürfe gegen Trudeau
Die Vorwürfe gegen den Premier wiegen schwer. Aus Sorge um die anstehenden Wahlen soll er versucht haben, die Klage gegen das Unternehmen zu Fall zu bringen. Der Grund: SNC-Lavalin führt die Geschäfte von Montréal aus – dem Wahlkreis Trudeaus. Außerdem hängen tausende Jobs an der Firma, auch in Kanada. Um also die Firma und damit auch sich selbst zu retten, soll der Politiker seine Macht missbraucht und Grenzen überschritten haben. In Kanada fungiert der Justizminister nämlich auch als Chefankläger und ist deswegen vom politischen Tagesgeschehen weitestgehend isoliert.
Trudeau bestreitet die Vorwürfe. Aber ob er sich noch lange halten kann, ist fraglich. Bisher liegen nämlich keine Beweise vor, die die Aussage der Ex-Justizministerin belegen. Doch das Image des Premierministers hat trotzdem erheblich gelitten.
Acht Monate sind in der Politik eine lange Zeit. Im Augenblick ist es aber schwierig, sich vorzustellen, dass Trudeau noch den großen Befreiungsschlag ausführt. – Gerd Braune, Journalist
detektor.fm-Moderatorin Bernadette Huber hat mit dem Journalisten Gerd Braune über den Polit-Skandal gesprochen. Er arbeitet in Ottawa und schreibt unter anderem für den Tagesspiegel.
Redaktion: Rabea Schloz, Alexandra Boger