Korruption allerorts
Einladungen zu Kongressen, in Wellness-Hotels, Geldzahlungen. Die Liste dessen, was niedergelassene Ärzte in Deutschland von Pharmavertretern angeboten bekommen, um dieses oder jenes Präprat bevorzugt zu verschreiben, ist lang. Von einer systematischen Korruption berichten kritische Organisationen wie Transparency International (TI). Offenbar ist die Versuchung groß. Denn von den 200 Milliarden Euro, die jährlich von den Krankenkassen ausgezahlt werden, setzten Ärzte und Heilberufler gerade einmal 30 Milliarden Euro um, erklärt Dr.Wolfgang Wodarg, der selbst als niedergelassener Arzt tätig war.
Aber das, was Ärzte verordnen, dass sind die Krankenhausbehandlungen mit etwa 60 Milliarden, das sind 30 Milliarden für Arzneimittel, die sie durch ihren Kugelschreiber platzieren. – Dr. Wolfgang Wodarg – Transperency International
Zusammen mit Heil- und Plegeleistungen kommen so jährlich 100 Milliarden Euro zusammen, die deutsche Ärzte per Verschreibung umsetzen. Und eben hier setzen die Lobbyisten und Vertreter an. Denn für jedes Medikament eines bestimmten Herstellers, dass der Arzt verschreibt, kassiert das Unternehmen von der Krankenkasse. Und der zuständige Pharmavertreter bekommt eine Erfolgsprämie vom Unternehmen. Eine Win-Win-Situation für Pharmahersteller, -vertreter und die Ärzte. Die Rechnung bezahlen müssen dann die Krankenkassen und damit die Versicherten selbst. Die Hemmschwelle ist jedoch niedrig. Niedergelassene Ärzte und Heilberufler werden kaum überprüft. Im Zweifelsfall gehen sie sogar straffrei aus.
Neues Gesetz alte Gegenargumente
Schon im Koalitionsvertrag hatte die schwarz-rote Bundesreigerung festgehalten, dass sie stärker gegen die Korruption bei der Verschreibungspraxis vorgehen will. Ein entsprechender Referentenentwurf aus dem Bundesjustizminsterium kursiert derzeit in Berlin. Demnach sollen niedergelassene Ärzte und Heilberufler auch strafrechtlich verfolgbar sein, wenn der Verdacht der Korruption besteht. Verstöße könnten dann mit bis zu fünf Jahren Gefängnis geahndet werden. Der Bund der Versicherten (BdV) begrüßt den Vorstoß, die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) und die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) kritisieren ihn hingegen.
Statt die Heilberufe unter Generalverdacht zu stellen und das Land flächendeckend mit Sonderstaatsanwaltschaften zu überziehen, sollte der Gesetzgeber vielmehr die Möglichkeiten der Selbstverwaltungskörperschaften stärken, um die wenigen schwarzen Schafe im Gesundheitswesen, die es im Übrigen in allen Bereichen der Gesellschaft gibt, noch konsequenter sanktionieren zu können. – Dr. Wolfgang Eßer, Vorstandsvorsitzender der KZBV
Korruptionsbekämfung immer noch schwierig
Die Verbände wollen ihre Ärzte also weiter selbst kontrollieren. Eine strafrechtliche Verfolgung lehnen sie ab. Bei Dr. Wolfgang Wodarg stößt das auf Unverständnis. Einerseits, weil die Verbände selbst kaum Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten haben und anderseits, weil der Schaden für Kassen und Patienten zu hoch sei, um auf eine reine Selbstkontrolle zu bauen. Nur über das Straf- und Sozialrecht könne man die Korruption langfristig eindämmen. Deshalb plädiert er dafür, die Ärze auch in das so genannte „Verplichtungsgesetz“ einzubinden und sie so persönlich haftbar zu machen.
Über das Ausmaß der Korruption unter deutschen Ärzten und den neuen Gesetzesentwurf von Justiztsminister Heiko Maas (SPD) hat detektor.fm-Moderatorin Doris Hellpoldt mit Dr. Wolfgang Wodarg gesprochen. Der Politiker (SPD), Arzt und Gesundheitswissenschaftler sitzt im Vorstand von Transparency International.
Redaktion: Ronja Hoffmann, Alexander Hertel