Wenn in der Schweiz Entscheidungen anstehen, dann wird darüber abgestimmt. Mal geschieht das auf kommunaler, mal auf kantonaler und mal auf Bundesebene. So geschehen am vergangenen Wochenende als der Schweizer zur „Eidgenössischen Volksabstimmung“ eingeladen war.
42,8 Prozent aller Schweizer haben ihre Stimme abgegeben und über eine ökologische Wirtschaftsreform (abgelehnt), eine Rentenerhöhung (abgelehnt) und ein neues Nachrichtendienstgesetz (angenommen) entschieden.
Schlussresultat: 65,5 Prozent der Stimmenden sagen Ja zum #NDG – kein einziger Kanton sagt Nein. https://t.co/koMERL2EYk ^red #abst16 pic.twitter.com/uJqIf1DrTN
— SRF News (@srfnews) 25. September 2016
Das neue Nachrichtendienstgesetz
Dieses Nachrichtendienstgesetz hat es in sich: Die sonst so skeptischen Schweizer gewähren ihrem Geheimdienst in Zukunft Zutritt zu ihrer Privatsphäre. Zwar limitiert und nur unter besonderen Voraussetzungen, aber deutlich mehr als bisher.
Die Regierung schreibt: „Das neue Gesetz gibt dem Nachrichtendienst des Bundes zeitgemäße Mittel zur Erkennung von Bedrohungen und zur Wahrung der Sicherheit. Gleichzeitig stärkt es die Kontrolle über den Nachrichtendienst.“ Es geht also um „Modernität“, „Sicherheit“ und „Kontrolle“. Dass hört sich erst einmal gut an, haben wohl auch die Schweizer gedacht und dem Gesetz mit 65,5 Prozent zugestimmt.
Dabei schenken sie ihrem Nachrichtendienst einen gewaltigen Vertrauensvorschuss. Missbraucht dieser seine neuen Rechte zur Nutzung von Vorratsdatenspeicherung, Kommunikationsüberwachung und Überwachungssoftware, dann dürfte die gute Stimmung schnell umschlagen.
Nutze deine Macht weise
Das wäre nicht das erste Mal: Der sogenannte „Fichsenskandal“ vor 27 Jahren hat die Beziehung zwischen Bevölkerung und Geheimdienst nachhaltig erschüttert. Damals wurde publik, dass die Bundespolizei während des Kalten Krieges aus Furcht vor „kommunistischer Unterwanderung“ 900.000 Personen und Organisationen beobachten ließ.
Fortan limitierten die Schweizer die Macht des inländischen Nachrichtendienstes. Selbst als im Zuge der Anschläge vom 11. September 2001 in New York viele andere europäischen Staaten die Kompetenzen ihrer Geheimdienste ausweiteten, waren die Schweizer zurückhaltend.
Am Wochenende wurden dem Schweizer Geheimdienst Kompetenzen gegeben, die andere europäische Geheimdienste bereits seit 15 Jahren besitzen. Das Interessante ist, wie lange es gedauert hat, bis sich die Schweizer zu dieser Entscheidung durchgerungen haben. – Christian Nünlist, ETH Zürich
Über die Gründe der Schweizer Entscheidung für ein neues Nachrichtendienstgesetz hat detektor.fm-Moderator Christian Eichler mit Christian Nünlist gesprochen. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Security Studies an der ETH Zürich.
Redaktion: Jonathan Gruber