Die Merkel von Taiwan?
Die neue Präsidentin Tsai hat mit ihrer rationalen und bedachten Art die Wahl in Taiwan gewonnen. Viele Medien haben im Wahlkampf Parallelen zur deutschen Bundeskanzlerin und ihrem wenig emotionalen, pragmatischen Politikstil gezogen.
Die Wahl von Tsai setzt Zeichen. Einmal für das Land selbst, weil mit der neuen Präsidentin zum ersten Mal überhaupt eine Frau an der Spitze steht. Und die Wahl ist ein Zeichen nach China: Denn die neue Präsidentin sieht die Volksrepublik deutlich kritischer als die bisherige Regierung.
Die Beziehung zu China
Das Verhältnis zur Volksrepublik China ist seit Jahrzehnten ein geladenes Thema. Streitpunkt ist die Souveränität der Inselrepublik vor China. In den Augen der Volksrepublik ist sie eine abtrünnige Provinz und kein eigener Staat. Für Peking ist Taiwan nicht befugt, sich für unabhängig zu erklären – man droht der kleinen Insel mit militärischen Mitteln, falls das dennoch passieren sollte.
China kann letztlich auch Taiwan zu nichts zwingen. Und eine militärischen Intervention kann niemand wollen. – Gunter Schubert, Professor für Greater China Studies an der Universität Tübingen
In den letzten Jahren hatte sich die Lage zwischen den Ländern weitgehend entspannt, der „China-freundliche“ Ex-Präsident Ma Ying-jeou war in seiner Regierungszeit auf Versöhnungskurs. Mit dieser Annäherungspolitik hatte er sich jedoch im eigenen Land unbeliebt gemacht. Im Frühjahr 2014 kam es zu Protesten, als seine Regierung versuchte, ein umstrittenes Handelsabkommen zu verabschieden.
Die neue Präsidentin ist bekannt dafür, die Unabhängigkeit stärker als ihre Gegner zu betonen. Doch Taiwan ist ökonomisch stark von China abhängig. Internationale Beobachter erwarten deshalb einen unaufgeregten, stabilen Kurs. Dennoch haben chinesische Staatsmedien die neue Präsidentin nach dem Wahlsieg vorsorglich schonmal an das „Ein-China-Prinzip“ erinnert.
Was das Wahlergebnis für das Verhältnis zwischen China und Taiwan bedeutet, darüber hat detektor.fm-Moderator Konrad Spremberg mit Gunter Schubert gesprochen. Er ist Professor für Greater China Studies an der Universität Tübingen und leitet das European Research Center on Contemporary Taiwan (ERCCT).
Redaktion: Sebastian Kränzle