Wenn Banken Geld brauchen, können sie Kredite bei der Europäischen Zentralbank (EZB) aufnehmen. Wie teuer dieser Kredit für die Banken ist, legt der so genannte Leitzins fest. Der lag bisher bei einem Rekordtief, nämlich 0,25 Prozent. Und er wurde nun weiter gesenkt: auf 0,15 Prozent. Diese Senkung kann im Idealfall eine Kette von Reaktionen auslösen:
Die gewünschte Wirkung
Der niedrige Leitzins sorgt zunächst dafür, dass die Banken ihr Geld für einen sehr niedrigen Preis von der europäischen Zentralbank bekommen. Die Banken können dann das Geld billig weiterverleihen, zum Beispiel an Unternehmen. Die Unternehmen können mit dem billigen Geld neue Investitionen tätigen. Und wenn Zinsen, also der Preis des Geldes, niedrig sind, wird auch mehr konsumiert. Das wiederum steigert die Nachfrage nach Produkten und erhöht damit den Preis der Produkte. Produkte sollen also teurer werden.
Die befürchtete Deflation
Zurzeit sind Produkte in Europa sehr billig. Vor allem der Preis für Lebensmittel und Energie ist gesunken. Für den Verbraucher klingt das erst mal gar nicht schlecht. Für die Wirtschaft kann das aber gefährliche Folgen haben: Denn wenn der Preis stetig sinkt, gehen die Verbraucher davon aus, dass „morgen“ alles billiger sein wird. Dann vertagen sie ihren Kauf auf später und konsumieren nicht „heute“. Damit kommt es zu einer Abwärtsspirale und die Preise fallen weiter. Auch Firmen stoppen ihre Investitionen und verlegen sie auf später. Die Folge: Die Wirtschaft gerät ins Stocken, weil keiner mehr „heute“ kauft. Dieses Phänomen nennt sich Deflation.
Das Preisniveau muss also steigen, um eine Deflation zu verhindern. In anderen Worten: Die Inflation muss zunehmen. Ziel ist eine Inflation von knapp zwei Prozent. Seit Mai liegt die aber bei nur 0,5 Prozent. Die europäische Zentralbank will also nun den Leitzins auf 0,15 Prozent senken, damit die Preise der Produkte wieder steigen. Die Konsumenten würden also wieder „heute“ kaufen, weil morgen die Produkte wieder teurer sein könnten.
Die reale Wirkung
Peter Tillmann, Professor für monetäre Ökonomie an der Universität Gießen, sieht darin die Gefahr neuer Finanzblasen.
„Ich glaube da braut sich etwas zusammen, was wir möglicherweise im Moment noch nicht so richtig wahrhaben wollen.“
Auch bei der Immobilienblase 2007 in den USA seien die Zinssätze lange sehr niedrig gewesen, um die gleichen Probleme zu bekämpfen: Wirtschaft ankurbeln und Deflation verhindern.
Diese Tendenz verstärkt nicht nur der niedrige Leitzins, sondern auch der Einlagenzins, der heute ebenfalls gesenkt wurde: auf -0,1 Prozent. Negativer Zins also: dadurch werden Banken bestraft, die Geld zurück legen. Sie sollen so animiert werden das Geld lieber auszugeben: also Kredite zu vergeben.
Über die aktuelle Entscheidung der EZB und mögliche Folgen sprechen wir mit Peter Tillmann im Interview: