Woher soll die grüne Energie der Zukunft kommen? Darüber zerbrechen sich Wissenschaftler jetzt schon seit ein paar Jahrzehnten die Köpfe. Die Energie von Sonne, Wind und Wasserkraft zu ernten, klappt zwar schon ganz gut, aber es reicht noch lange nicht. Das liegt auch daran, dass wir diese natürlichen Energiequellen fast nur vom Festland aus anzapfen – dabei besteht die Erdoberfläche zu gut zwei Dritteln aus Wasser.
Auf den Weltmeeren ist genug Platz für zehntausende „Energieschiffe“
Wissenschaftler von der Hochschule Regensburg haben sich deshalb überlegt, wie man die offene See noch besser nutzen könnte, um dort Energie zu gewinnen. Es gibt zwar schon Offshore-Windparks. Aber die sind nicht immer da, wo der Wind gerade weht. Deshalb sind die Wissenschaftler auf eine verblüffend simple Idee gekommen: Sie möchten tausende Segelschiffe losschicken, die immer hart am Wind fahren und dabei ständig Energie erzeugen. Wie das funktionieren soll und welches Potential die Idee hat, das hat sich Hendrik Kirchhof von Thomas Raith erklären lassen. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Regensburg und von ihm stammt die ursprüngliche Idee zum Projekt „Segelenergie“.
+++Green Radio: Umwelt und Nachhaltigkeit – eine Kooperation mit dem Umweltbundesamt. Jeden Donnerstag bei detektor.fm+++
Green Radio als Podcast? Dann hier abonnieren.
Der Beitrag zum Mitlesen:
Segelenergie – so nennen die Regensburger Wissenschaftler ihr Projekt. Es soll helfen, die Energiewende voranzubringen, und zwar auf dem Gebiet der Mobilität. Denn während sich beim grünen elektrischen Strom und auch beim Thema Wärme-Energie schon vergleichsweise viel getan hat, sind wir von einer klimafreundlichen Mobilität noch weit entfernt, erklärt Thomas Raith, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Regensburg:
Wir haben ungefähr 5,5 Prozent regenerativen Kraftstoffanteil. Und der ist fast ausschließlich Biomasse-basierend. Und hier sind Lösungen für eine nachhaltige Mobilitätswende irgendwie momentan nicht greifbar. – Thomas Raith
Elektroautos seien zwar ein guter Ansatz. Dennoch werde man auch in Zukunft Verbrennungsmotoren brauchen, möglichst mit erneuerbaren Kraftstoffen, vor allem im Schwerlast-Verkehr. Und genau solche Kraftstoffe (nämlich Gas oder Wasserstoff) könnte die Segelenergie bringen, mit eigens dafür konstruierten Energieschiffen.
Und zwar durch Turbinen im Wasser. Die sozusagen das Schiff leicht abbremsen, oder abbremsen, und dadurch Energie, mit Rotoren ähnlich Windkraft-Rotoren, entnehmen. Daraus erzeugen wir elektrischen Strom. Und der Strom muss dann irgendwie in eine speicherbare Form gebracht werden. – Thomas Raith
Das soll nicht etwa mit Batterien passieren, sondern mit dem effizienteren so genannten „Power-to-Gas-Verfahren“: Noch auf dem Schiff wird mit dem erzeugten Strom Wasser in seine Bestandteile zerlegt, in Sauerstoff und Wasserstoff. Der Wasserstoff wird anschließend an Bord gespeichert oder noch zu Methanol oder Methan verarbeitet – also zu Erdgas. Später an Land lassen sich damit Erdgas-Autos betreiben.
Die Energie wird wie normales Frachtgut, oder wie bei Tankschiffen entladen. Und das, vielleicht um noch eine Zahl zu nennen, innerhalb von zwei bis drei Monaten jeweils einmal eine Entladung. – Thomas Raith
Solche Energieschiffe wandeln den Wind allerdings weniger effizient in Energie um als herkömmliche Windkraftanlagen. Die haben einen Wirkungsgrad von etwa 45 Prozent, bei den Energieschiffen rechnet Thomas Raith mit nur 20 bis 30 Prozent. Das liegt daran, dass der erzeugte Strom zusätzlich in chemischen Kraftstoff umgewandelt werden muss. Außerdem braucht das Schiff selbst einen Teil der Windenergie, um voranzukommen. Doch diese Nachteile gleicht die Segelenergie auf andere Art aus: Die Schiffe können auf dem Ozean immer dem Wind folgen, es gibt keine Flauten.
Windkraftanlagen an Land haben jährlich nur zweieinhalb tausend Vollast-Stunden, Offshore dreieinhalb tausend Vollast-Stunden. Und wir rechnen, durch dem, dass wir dem Wind folgen, mit sechstausend Vollast-Stunden. – Thomas Raith
Um das zu beweisen, haben die Forscher anhand historischer Wetterdaten mögliche Routen für die Energieschiffe berechnet und eine fünfjährige Fahrt simuliert. Mit dem Ergebnis, dass die Schiffe etwa doppelt so viel Energie erzeugen können wie stationäre Offshore-Windparks. Dennoch ist der Aufwand für die Segelenergie hoch, die Schiffe werden keine Energie zu Dumping-Preisen erzeugen können. Bei allgemein steigenden Energiepreisen hält Thomas Raith das Konzept dennoch für konkurrenzfähig:
Im Hinblick auf die Anforderungen, die wir durch die Energiewende haben, also Ausstieg aus Atomenergie, CO2-Reduzierung und Ähnlichem, sehen wir, dass wir Systeme brauchen, die in Zukunft Alternativen bilden. Und wir gehen davon aus, dass dadurch auch die Preise für die Energieträger steigen. Insofern sind wir guter Dinge, dass hier ein Potential besteht. – Thomas Raith
Die Regensburger Wissenschaftler denken in großen Maßstäben. Thomas Raith rechnet vor, wie viele Energieschiffe man bräuchte, um den fünfprozentigen Anteil Biokraftstoff in Deutschland zu ersetzen: ungefähr sechstausend. Führt man sich vor Augen, mit welchem Aufwand dieser Biokraftstoff heute erzeugt wird, klingt die Zahl nicht mehr ganz so gewaltig:
Dieser wird mit Hilfe von 90.000 Traktoren erzeugt. Die braucht man, um die Felder dafür zu bewirtschaften. Sechstausend Energieschiffe einer Größe von zwei Megawatt würden ebenfalls die gleiche Energiemenge liefern, ohne dafür Land benötigen zu müssen. – Thomas Raith
Als nächstes wollen Thomas Raith und seine Kollegen eine Machbarkeitsstudie erstellen, das wird ein bis zwei Jahre dauern. Mittelfristig müssen sie dann die Industrie von ihrer Idee überzeugen. Denn eines ist klar: Große Konzerne werden nur dann tausende Energieschiffe bauen, wenn sich die Sache am Ende auch wirtschaftlich lohnt.